Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
seine.
Scapa zog seine Finger weg. »Woher kennst du diesen Namen?« Ein plötzlicher Verdacht keimte in Scapa auf. Was, wenn Arane immer gewusst hatte, dass er noch am Leben gewesen war? Was, wenn sie ihn schlichtweg bis jetzt vergessen hatte? Oder ihn gar nicht mehr hatte haben wollen?
»Fesco hat ihn mir genannt«, sagte sie leise.
»Wann hast du mit Fesco geredet?«
»Vorhin. Ich habe mit ihm über alles Mögliche geredet.« Sie stützte sich mit beiden Händen auf die Brüstung. »Zum Beispiel über den Diebstahl des magischen Messers.« Argwohn hatte sich in ihre Stimme geschlichen. Schließlich lächelte sie bitter.
»Siehst du, das ist der Unterschied zwischen den Menschen und den Elfen. Die Elfen leben nach ihren Traditionen. Ihre Moral und ihre Loyalität zu diesen Traditionen sind so stark, dass sie sogar einem menschlichen König ergeben folgen, allein, damit es überhaupt einen König gibt! Die Treue der Elfen zu ihren Bräuchen ist der ganze Zauber, die ganze Macht, die die Krone Elrysjar umgibt. Das ist alles.
Und trotzdem: Die Krone zu tragen bedeutet, dass einem die Welt gehört.
Die Menschen hingegen wahren ihre Traditionen nur, weil sie zu faul sind, ihren Alltag zu ändern. Sie beten so stumpfsinnig zu ihren Göttern, wie sie abends Karten spielen und morgens den Müll auslee-ren. Ihre Frömmigkeit ist heuchlerisch, und sie selbst wissen es nicht mal. Moral, Mitgefühl, Nächstenlie-be, das ist ein hübscher Mantel, den sie tragen, wenn sie ihn sich leisten können! Sie leben nicht für ihr Volk, sondern für sich selbst. Sie sind selbstsüchtig.
Das macht sie verschlagen. Das macht sie klug. Und letzten Endes wird nur das Volk überleben, in dem jeder um sein eigenes Leben strampelt.«
Scapa starrte sie an. »Überleben? Was meinst du mit überleben? Was hast du vor mit –«
Arane winkte ab. »Wenn ich planen würde, ein Volk auszulöschen, würde ich dir das gewiss sagen.
Abgesehen davon, wieso sollte ich die Elfen ausrot-ten? Sie sind doch die Kraft, die hinter mir steht!
Nein, aber sie graben sich ihr eigenes Grab … sie selbst. Und das ist der Gang der Natur. Die Klugen überleben. Und die Dummen, die Träumer, die Ver-blendeten gehen unter.«
Scapa sah sie reglos an. Was für Worte kamen aus ihrem Mund? Hatte sie schon immer so gesprochen? War ihre Abscheu für die Elfen auch früher schon so groß gewesen? Wieso fiel Hass immer erst dann auf, wenn er mit der Macht einherging, ausgelebt zu werden?
»Wieso siehst du mich so an?«, flüsterte Arane.
»Scapa, dein Blick kann einem soviel Angst machen.«
Er lächelte verwundert, doch es war ein freudloses Lächeln. »Du hast Angst vor meinem Blick? Obwohl dein Blick in jedem Feuer da unten leuchtet?«
»Was meinst du?« So viel Unsicherheit trat in ihr Gesicht, dass Scapa sich sogleich elend fühlte. Er winkte ab und stützte sich aufs Geländer. »Ach, nichts. Nichts …« Schuldgefühle, Misstrauen und Verwirrung durchwogten ihn. Er wusste gar nicht mehr, was er denken sollte. Alles schien ihm eine Lüge zu sein, bis Arane die Dinge aussprach. Und selbst dann …
»Damals in Kesselstadt«, sagte er gepresst, »als du zu den Grauen Kriegern gegangen bist … Hattest du je eine Vision, Arane?«
»Wenn ich nie Visionen gehabt hätte, wäre ich längst tot, das habe ich dir damals schon gesagt. Visionen auf ein besseres Leben bewahren uns davor, unterzugeh-«
»Hör auf!« Er hob die Hände und drückte sich gegen die Schläfen. »Verflucht, Arane. Sag mir einfach, ob du gelogen hast. Hast du in einer Vision gesehen, wo das magische Messer war, ja oder nein?
Winde dich nicht immer heraus mit deinen Worten.«
Sie schwieg mehrere Augenblicke erschrocken.
»Ja. Ich hatte eine Vision.« Ihre Stimme war heiser, sie schluckte. »Ich habe gesehen, wie unser Schicksal aussehen könnte. Und nein, wenn du es so wissen willst: Ich habe nie gewusst, wo das Messer war, niemals, sonst hätte ich es längst selbst geholt!
Denn es gibt keine Visionen«, zischte sie. »Es gibt nur Pläne. Hörst du?«
»Gut.« Scapa fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und starrte zum Licht der Minen hinab. »Dann weiß ich es also.«
Eine Weile stand Arane stumm neben ihm und sah ihn an. Dann legte sie die Arme um seinen Rücken und drückte ihn sachte. »Ich habe es damals für uns getan! Für uns … alles habe ich für uns getan, ich wusste ja nicht, dass wir uns drei Jahre nicht –« Sie wartete, bis ihre Stimme nicht mehr zitterte.
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