Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
willst du wieder hinaus«, sagte der König ungerührt. »Du willst, dass wir uns für den Krieg rüsten.«
Kavehs Schweigen war Antwort genug. Lorgios verdrehte die Augen und schnaubte.
»Ich habe die Eisenminen gesehen«, flüsterte Kaveh gepresst. »Ich habe gesehen, was sich in den tiefen Marschen von Korr verbirgt. Vater, da ist eine Streitmacht, die uns überrennen wird! Und wenn du dir schon keine Sorgen machst über die Vergäng-lichkeit dieses Grauens, dann mache dir doch wenigstens um uns Sorgen – um mich, deinen Sohn –, denn wir werden unter dem Grauen leben und sein Verebben vielleicht nicht mehr erleben.«
Lorgios schwieg nachdenklich. Vielleicht schwieg er aber auch, weil er keinen Sinn mehr darin sah, mit Kaveh zu streiten.
»Bitte«, flüsterte Kaveh. Das Wort kostete ihn alle Mühe. »Bitte, Vater. Bitte zwing mich nicht, tatenlos zuzusehen …«
»Zwing du mich nicht, meinen Sohn zu verlieren!
Durch euren Übermut hat meine Schwester bereits den ihren verloren.«
Kavehs Kinn zitterte, seine Augen wurden finster, als er an Erijel dachte. Dennoch stand der Gedanke, der ihm kam, in seinem Gesicht geschrieben: Erijels Tod wäre ganz sinnlos gewesen, wenn sie jetzt nichts taten!
»Lass mich kämpfen«, flüsterte Kaveh.
»Ich will dich nicht sterben lassen!«
»Ich sterbe aber, wenn ich nichts tun kann!«
»Du lebst in Heldenmärchen und Legenden. Du weißt nicht, was dich erwartet.«
»Ich bin kein Kind mehr!«, rief Kaveh.
»Wieso verhältst du dich dann wie eines?«
»Und wieso verhältst du dich wie ein alter Greis?!«
Lorgios wollte zu einer heftigen Antwort ansetzen
– als sich plötzlich Nill zu Wort meldete. Überrascht wandten sich Kaveh und der König ihr zu.
»Auch ich habe Korr gesehen. Und die Königin.
Wenn wir nichts tun, wird sie uns unter der Flut ihrer Kriegerscharen begraben. Uns und die riesigen Dunklen Wälder. Wir sollten kämpfen, sonst haben wir schon verloren.«
Lorgios runzelte die Stirn. »Wie wollt ihr kämpfen? Eine Ritterbande von jungen Hitzköpfen kann sich wohl kaum mit der Macht messen, von der ihr sprecht.«
»Ich will mitkämpfen«, hörte Nill sich sagen. Ihre Beine und Arme fühlten sich seltsam schwach an, als die Blicke der beiden Elfen sich erneut auf sie richteten.
»Du? Aber – hast du denn je gekämpft?«, fragte Lorgios stirnrunzelnd.
»Nun, also …«
»Also, ich werde es ihr beibringen«, fuhr Kaveh rasch dazwischen. »Vater, du weißt, dass ich einer der besten Krieger bin. Im Dorf jedenfalls. Ich kann es ihr beibringen. Wenn der Krieg ausbricht, wird sie bereit sein.«
Lorgios schnaubte, doch er ging nicht weiter darauf ein. Das nahm Kaveh offensichtlich als Zeichen seiner Erlaubnis.
»Trotzdem«, knurrte der König. »Nicht einmal alle
Elfen der Dunklen Wälder würden reichen, um es mit den Moorelfen aufzunehmen. Sie sind uns zah-lenmäßig überlegen. Viele von uns sind an die Küsten gezogen, fernab der Wälder – es würde viel zu lange dauern, sie zu erreichen.«
»Was ist mit den anderen Völkern des Waldreiches?«, warf Kaveh ein. »Schließlich geht es nicht nur um uns, sondern um alle.«
»Und hast du jemand Bestimmten im Sinn?«, fragte Lorgios sarkastisch.
»Nein, aber wir werden erst Freunde finden, wenn wir nach ihnen suchen.«
Lorgios musterte seinen Sohn und plötzlich schien ein Lächeln um seine Mundwinkel zu zucken.
Schnell erlosch es wieder. »Von all unseren Traditionen«, sagte der König und wandte sich von Kaveh ab, »sind dir ja wenigstens unsere Sprichwörter in Fleisch und Blut übergegangen.«
Es war späte Nacht – oder fast schon früher Morgen
– als Nill darum bat, sich aus dem Baumzimmer des Königs verabschieden zu dürfen. Inzwischen waren Kejael und Aryjèn dazugekommen, zusammen mit den Zwillingen und einer Gruppe weiterer Elfen, die Nill neugierige Blicke zuwarfen und mit dem König und Kaveh die Aufrüstung für den Krieg besprachen.
Alle Zweifel, Besorgnisse und Ideen wurden sorgfältig diskutiert und so hatte Kaveh nur kurz verdutzt im Sprechen inne gehalten, als Nill um Erlaubnis gebeten hatte, zu gehen.
»Ich komme später nach«, sagte Kaveh leise, aber Nill beschloss, nicht darauf zu warten. Kaveh war vollkommen vertieft in die Diskussionen und brauchte alle Überzeugungskraft, um gegen das Misstrauen der Anwesenden aufzukommen.
Draußen waren die Feuer um ein Erhebliches ge-schrumpft. Der Trommellärm war verebbt, nur noch ein leises Singen und Flöten hing über
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