Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
Elfen auf ihre Rücken schwangen.
Auch neben Kaveh war ein dunkler Rappe angekommen und schnaubte aufgeregt.
Alles ging zu schnell. Krieger rannten an Nill vorbei, schubsten sie voran und rempelten mit gepanzer-ten Schultern gegen sie. Die Ersten brachen gegen die Reihen der Königin. Kampfgebrüll tobte in der
Luft. Plötzlich löste sich Kavehs Hand von Nill. Sie glaubte ihn verloren im Gedränge; dann tauchte er plötzlich wieder vor ihr auf, und neben ihm ein gro-
ßer Hirsch, dessen Geweih gefährlich nahe an Nills Gesicht in die Höhe stieß. Einen Moment später hatte Kaveh sie auf den Hirsch hinaufgezogen und schwang sich selbst auf sein Pferd.
»Zurück!«, rief er Nill – oder dem Hirsch – zu.
Dann zog er sein Schwert.
»Kaveh!« Nill spürte, wie ihr Ruf im Lärm der brüllenden Stimmen und klirrenden Waffen unterging. Der Hirsch unter ihr machte eine Wendung, und sie musste sich an seinem Geweih festkrallen, um nicht zu fallen. Kavehs Gesicht schwebte irgendwo in der Menge. Dann galoppierte sein Pferd aus dem Schutz des Waldes heraus – und der Hirsch begann ebenfalls zu galoppieren, jedoch in die andere Richtung.
Elfen auf Pferden und Hirschen, Riesen mit Streit-
äxten und Keulen, jaulende Wölfe und Wildschweine mit gereckten Hauern zogen an ihnen vorüber. Nill klammerte sich nur noch am Hirschgeweih fest, um nicht unter die galoppierenden Hufe zu geraten. Irgendwann lief der Hirsch langsamer, machte einen weiten Bogen und wandte sich wieder zu den voranstürmenden Kriegern um. Nills Herz pumpte schmerzhaft schnell. In ihrem Kopf rauschte das Blut. Hinter den Bäumen konnte sie die Schlacht erkennen, wie ein tosender Ozean aus Blut und Schmerz und Hass. Alles ging so schnell; Gestalten
sanken zu Boden, Lanzen, Schilde, Schwerter stießen in die Höhe und wieder hinab, Pferde bäumten sich auf, Graue Krieger flogen von Geweihen durchbohrt in die Luft. Es sah so unwirklich aus und war zugleich so erschreckend echt, dass Nill nichts mehr denken, nichts mehr fühlen konnte.
Der Hirsch unter ihr schnaufte und schlug mit den Hufen gegen die Erde. Abwarten, schien er zu sagen.
Warte ab, bis dein Augenblick gekommen ist …
Und Nill erkannte, dass sie tatsächlich warten musste. Es war das Einzige, was sie tun konnte. Sie musste warten, bis das Heer näher gekommen war.
Oder bis sie, was ihr jetzt sehr zweifelhaft erschien, durch den ohrenbetäubenden Schlachtlärm hindurch Kavehs Horn hörte. Sie musste warten, bis der rote Stoffbaldachin der Königin hier war … Und ihre zitternde Hand schloss sich fest um den Steindorn. Er war warm.
Das Opfer
Etwas in Scapas Brust hatte sich zusammengezogen.
Die Wirklichkeit rings um ihn erschien ihm wie verschwommen.
Vier Ringe von Reitern umgaben ihn und Arane unter dem roten Stoffdach. Von hinten strömte das Heer an ihnen vorüber wie eine Flut an einem kleinen Fels. Dort, wo in der Ferne die hohen Bäume des Waldes aufragten, entbrannte die Schlacht.
Das Kriegsgemetzel sah noch winzig aus von hier
– der abscheuliche Lärm hing wie ein verzerrtes Windheulen in der Luft. Und doch zitterte Scapas Faust, die sich so fest um den Griff seines Dolches schloss, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Er wusste, dass Arane neben ihm seit Beginn der Schlacht so bleich war wie er selbst.
Aber erst jetzt sah er, dass sie lächelte. Bewunderte sie die gigantische, unaufhaltsame Sturmflut ihrer Heere? Die schwarze, kochende Masse, die am flat-ternden Dach vorbeispülte, würde in den Wald hin-einströmen und allen Widerstand unter sich ersticken. Und sie, Arane, war es, die alles befehligen konnte. Sie war es, die die Macht der fünfzigtausend Grauen Krieger in den Händen hielt. Jeder Schwertschlag, der heute einen Krieger der Dunklen Wälder niederstreckte, war ihr Schwertschlag. Jeder Schrei, der heute geschrien wurde, ihr Schrei. Jeder Zentimeter, der heute erobert wurde, wurde von ihr erobert.
»Wie sieht es da vorne aus?«, fragte sie schließlich voll Wohlgefallen.
»Majestät, Eure Kriegerscharen sind unüberwind-bar«, sagte der König von Dhrana, der neben ihnen geritten war, träumerisch. Scapa sah den alten Mann misstrauisch an. Er war ihm nicht geheuer, vor allem seine seltsam fahrige Art zu sprechen. Der Greis schien Scapa mehr tot als lebendig. Außerdem zitterte er, als falle es ihm schwer, seinen Körper unter Kontrolle zu halten …
»Ich will es genau sehen«, sagte Arane.
»Was?« Scapa wandte sich vom König von Dhrana ab.
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