Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
Der Boden unter ihnen war eben und es war leicht zu reiten, denn das Heer vor ihnen hatte bereits alle Hindernisse aus dem Weg geräumt. Der Pfad war schön, hin und wieder zogen hohe, dunkle Wälder an ihnen vorüber, und sie schlugen ihre Abendla-ger an einem breiten, wilden Fluss auf.
Jenseits der Berge lag das Königreich Dhrana. Sie zogen über seine bunten Felder hinweg und zertraten, was der Schnee noch nicht unter sich begraben hatte.
Vor der Burg des Königs reihten sich gut fünftausend Soldaten auf. Unter ihnen waren auch einfache Bau-ern mit Hacken und Heugabeln. Sie erwarteten das Heer des Weißen Kindes.
»Sind sie gegen uns?«, fragte Scapa mit einem Anflug von Besorgnis.
Aber Arane lächelte erhaben. »Ich habe längst Boten an sie geschickt. Dhrana versorgt mich seit drei Jahren mit Holzlieferungen. Das Königreich ist auf unserer Seite.«
Als die Flut der Grauen Krieger die Soldaten Dhranas erreichte, schlossen sie sich an und wurden Teil der gigantischen Masse.
Die Zeit verflog. Nill übte ohne Unterlass, und selbst wenn Kaveh nicht bei ihr sein konnte, trainierte sie
weiter. Mit dem Schwert beherrschte sie bald die Grundtechniken, doch sie wusste nicht, ob sie damit in einem echten Kampf bestehen konnte, und das machte ihr Angst. Das Bogenschießen war kaum leichter zu erlernen; jedoch fühlte Nill sich damit weitaus sicherer. Sobald sie es schaffte, die Sehne zurückzuziehen und richtig zu zielen, war der Rest ein Kinderspiel. Leider kam es nicht oft vor, dass sie richtig zielte, und sie verfehlte so ziemlich alles, was weiter als zehn Meter entfernt war.
Dann kam der erste Späher zurückgestürmt. Das Weiße Kind, berichtete er, werde in zehn Tagen die Dunklen Wälder erreichen. Es ziehe mit Heeren heran, die mehr als fünfzigtausend Köpfe zählten, mit Heeren, die das Waldreich unter sich begraben würden.
Der Schreck trat allen in die Gesichter, vor allem König Lorgios.
In den nächsten Tagen trafen die versammelten Stämme ein. Elfenscharen kamen aus allen Richtungen: Es waren Frauen und Männer, die glänzende Rüstungen und helle Mäntel trugen und mit Bogen, Speeren und Schwertern bewaffnet waren. Sie schlugen ihre Lager unmittelbar über dem Elfental auf.
Ihre Zelte aus Rankengeflecht waren jedoch nur vom Dorf aus zu sehen – dem übrigen Wald blieben sie verborgen. Von Tag zu Tag trafen mehr von ihnen ein. Sie kamen aus den tiefen Westwäldern, aus den nördlichen Bergen, und einige Stämme hatten sich mit Muscheln geschmückt, die sie aus ihrer Heimat, den fernen Küstengebieten, mitgebracht hatten.
Mit den Elfenheeren kamen die Bergwölfe aus dem Norden. Lautlos schlichen die Rudel mit den Elfen einher, immer in Gruppen von fünfzehn oder zwanzig Tieren. Ihre bernsteinfarbenen Augen schweiften unruhig umher und grüßten stumm die Anwesenden. Ihr Fell war buschig und grau, und die Zähne, die zwischen ihren Lefzen hervorbleckten, schienen die Rüstung eines Kriegers durchbohren zu können. Sie waren größer als alle Wölfe, die Nill zuvor gesehen hatte, manche von ihnen schienen fast so groß wie ein Pony. Da sie wussten, dass Wildschweine und Hirsche ihre Verbündeten in diesem Krieg waren, trugen einige von ihnen tote Hasen mit sich, um zu zeigen, dass sie keine Jagd auf sie machen würden.
Dann stießen die Stämme der Gurmenen zu ihnen.
Es waren allem Anschein nach Menschen, doch sie waren viel größer und kräftiger als alle Hykaden, die Nill je gesehen hatte. Ihre Schultern waren so breit wie die von Stieren, ihre Arme und Beine wirkten wie Baumstämme. Sie sprachen eine Sprache, die Nill nicht verstand, doch manche von ihnen konnten gebrochenes Elfisch. Mehr als dass sie aus den tiefen, gefährlichen Westwäldern kamen, wusste Nill nicht von ihnen. Gurmaen nannten die Elfen sie und das bedeutete wörtlich übersetzt »Riese«.
Und schließlich erwachte Nill eines Morgens durch gänzlich unbekannte Geräusche. Sie schlüpfte in ihren Mantel, eilte aus dem Baumhaus und stieß im Dorf auf Mareju, Arjas und Kaveh. Überall liefen
aufgeregte Kinder umher und auch die Erwachsenen traten neugierig aus ihren Hütten. Mit einer Schar Elfen liefen sie aus dem Dorf und sahen, woher der Lärm kam: Aus dem Wald erschien ein Heer von zweitausend Wildschweinen.
In Scharen waren sie bis an den Rand der Dunklen Wälder gezogen. Elfen, Hirsche, Riesen, Bergwölfe und Wildschweine – mehr Völker waren es nicht.
Und doch war die Zahl der Krieger so beeindru-ckend, dass
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