Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
fragte Celdwyn schließlich.
Nill warf einen ängstlichen Blick zu Agwin, die unablässig zu ihr herüberschielte, und schluckte schwer.
»Wegen des Dorns«, murmelte sie.
Celdwyn schien ein wenig zu lächeln – aber ihr Gesicht war so runzlig, dass man es kaum erkennen konnte. »Du hast gesagt, du weißt nicht, was der Dorn ist. Aber ich sehe dir sehr wohl an, dass du etwas von seiner Bedeutsamkeit verstehst. Und tatsächlich, mein Kind: Er wird bedeutsam für dich sein. Sehr sogar.«
Celdwyns Blick schien plötzlich verschwommen und fern. Erst als Agwin eine dampfende Tasse vor sie hinstellte, fuhr die Seherin kaum merklich auf.
Agwin setzte sich neben sie, faltete die Hände im Schoß und beobachtete sie gebannt. Nur kurz glitt ihr Blick zu Nill herüber, bereits mit einem unheilvollen Funkeln, das eine Strafe oder mindestens eine ordentliche Standpauke prophezeite.
»Weißt du, Nill«, erklärte Celdwyn, nachdem sie an ihrem Tee genippt hatte, »ich will dich nicht lange mit Ungewissheit quälen. Der Dorn ist ein magisches Messer, gefertigt von Elfenhand, um den König von Korr
zu töten. Im Rat der versammelten Hykadenstämme wurdest du dazu auserwählt, den König zu schützen und ihm das unheilvolle Messer zu überbringen.«
»Ich?«, entfuhr es Nill.
»Ja. Du.«
Kreidebleich starrte Nill die Seherin an. Mehrere Herzschläge lang konnte sie weder einen Gedanken fassen, noch etwas erwidern. Nicht einmal Agwin, die sie wie ein verblüfftes Huhn anstierte, brachte Nill zur Besinnung.
Andächtig schlürfte Celdwyn von ihrem Tee und schürzte die Lippen. »Fürchte dich nicht, mein Kind.
Jetzt ist sowieso nichts mehr daran zu ändern. Deine Zukunft steht fest, Nill, und nichts wird sie mehr um-schreiben können.«
Nach mehreren Augenblicken fand Nill ihre Stimme endlich wieder. »Wieso ich?«
Celdwyn legte eine Hand auf die ihre. Die langen, blau bemalten Fingernägel schlossen sich um Nills Handrücken wie Klauen. »Oh, Kind, es war eine Entscheidung der Götter, glaube mir. Und außerdem warst du diejenige, die das Messer gefunden hat. Das Messer hat also schon längst selbst entschieden, in wessen Hand es gehört.«
Celdwyn schlug den Leinenbeutel auf und legte behutsam das Messer vor Nill. Wie ein schwarzer Knochen sah es jetzt aus. Nill spürte, wie ihr vor Furcht und Aufregung ganz übel wurde. Aber sie war auch froh, es wieder zu sehen – auf eine sonderbare und unheimliche Weise.
»Wie soll ich denn in die Marschen von Korr kommen?«, fragte Nill erstickt.
»Du wirst alleine reisen – so ist es am sichersten für das Messer und für dich. Folge den Flüssen immer stromaufwärts nach Osten, dann gelangst du wie von selbst in die Marschen. Dort gibt es Straßen und Wege, die beschriftet sind.«
Nill sah die Seherin an. »Ich kann nicht lesen.«
»Nun … dann wirst du die Menschen nach deinem Weg fragen müssen. Vielleicht geleiten dich die Grauen Krieger des Königs bis zu ihm. Aber wenn du schon verzagst, bevor du deine Aufgabe auch nur begonnen hast, dann bringst du den Göttern nicht genügend Vertrauen entgegen!«
Nills Mundwinkel zuckten. Den Göttern vertraute sie gerne – sie selbst war es, an der sie zweifelte!
Und an den Menschen, die sie für diese irrsinnige Reise bestimmt hatten.
»Auf deinem Weg gib Acht, dass niemand vom Sinn und Zweck deiner Reise erfährt. Verrate keiner Seele von dem Messer, dass du bei dir trägst! Dein Leben und das Leben des Königs hängen davon ab, dass du das Geheimnis für dich behältst.«
Wie betäubt nickte Nill. Sie spürte kaum, wie Celdwyn ihr noch einmal zuversichtlich auf die Schulter klopfte. Dann wandte die Seherin sich an Agwin, die mindestens genauso überrumpelt war wie Nill.
»Ich hoffe, du verzeihst mir, was ich dir antue, Agwin. Das Mädchen bedeutet dir sehr viel, habe ich gehört. Du hast sie wie deine eigene Tochter großge-
zogen. Und nun nehme ich sie dir weg und schicke sie in Gefahren, die kein Mädchen ihres Alters bestehen sollte.«
»Mein ganzes Herz hängt an ihr!«, stammelte Agwin. Sie hatte Tränen in den Augen und blickte verzweifelt von Nill zu Celdwyn. »Was – was tue ich denn ohne sie? Ich meine, sie war eine Last und ihr störrisches Wesen hat mich die Kraft meiner Jahre gekostet, ich bin an ihr verzweifelt und hatte stets mit dem bösen Blut ihrer elfischen Herkunft zu kämpfen, um sie zu einem halbwegs guten Menschen zu erziehen –«
»Ich weiß«, erwiderte Celdwyn sanft. »Ich weiß.«
»Ich habe
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