Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
erschien. Stille kehrte ein, und die Blicke der zwölf Stammesführer und ihrer Begleiter richteten sich auf die glatzköpfige Alte.
»Seid gegrüßt.« Sie neigte sich kaum merklich nach vorne und legte eine Hand auf die Brust.
»Celdwyn«, rief der Dorfoberste Lhorgas und bot ihr den Stuhl an seiner Seite an. Dankend nahm die
Seherin neben ihm Platz. Dann legte der Stammesfürst wieder die Hände auf den Tisch und blickte ernst in die Gesichter der Versammelten. »Nun, da meine Seherin gekommen ist, können wir die Versammlung eröffnen. Ich mache es kurz: Dinge haben sich zugetragen. Dinge, über die die Stämme der Hykaden gemeinsam entscheiden sollten. Am besten, ich übergebe das Wort an die Seherin Celdwyn, sie wird euch Näheres erklären.« Er nickte ihr zu.
Einige Augenblicke lang herrschte erwartungsvolles Schweigen. Nur das Knistern des Feuers war zu hören, während Celdwyn die Augen halb schloss und in Gedanken zu versinken schien. Aber so war das mit Druiden: Bevor sie ihr Anliegen verkündeten, musste die Spannung um sie wachsen.
Schließlich war es auch für Celdwyn soweit. Mit dem trägen, sonderbaren Lächeln, das ihr zu Eigen war, blickte sie in die Runde der Anwesenden und begann zu erzählen.
»Bestimmt fragt ihr euch, wieso Lhorga um eine sofortige Versammlung gebeten hat. So will ich euch im Namen des mächtigen Yen-nur, Gottvater der Menschen, vom Schicksal berichten, das sich vor den Hykaden eröffnet.« Sie zog scharf die Luft durch den Mund ein. »Wie ihr alle wisst, hat vor drei Jahren ein König die Macht über das Volk der Moorelfen und die Marschen von Korr erlangt. Er, von dem nur soviel bekannt ist, dass er dem Menschengeschlecht entstammt, trägt die Zauberkrone der Moorelfen und ist somit ihr unverwundbarer König. Keine Hand ei-
nes Sterblichen vermag ihn zu töten; allein die Zeit und die Götter können ihm einen friedlichen Tod bringen.
Ja, ungefähr drei Jahre müssen vergangen sein, seit jener Menschenkönig die Moorelfen unterwarf.
Doch nicht nur die Moorelfen wurden in Angst und Schrecken versetzt. Aus Furcht, demselben Schicksal zu erliegen – einmal unter Herrschaft eines Menschen zu stehen – handelten die Freien Elfen der Dunklen Wälder rasch. Wie ihr wisst, besaßen beide Elfenstämme, die des Waldes und die der Marschen, jeweils eine Hälfte der Steinkrone, die einst ihr Volk einte. Als der König sich die Kronenhälfte der Moorelfen aneignete, verwandelten die mächtigen Zauber der Freien Elfen ihre Hälfte in ein magisches Messer, welches, da es aus demselben Stein besteht wie die Krone, den unverwundbaren König zu töten vermag.
Dieses Messer ist eine Waffe, die für den König den Untergang bedeuten kann. Wegen dieses Messers, so heißt es, verbirgt er sich in den Marschen und hat bis heute keinem Freien Elf ein Haar ge-krümmt. Ich selbst habe geglaubt, die Freien Elfen seien längst aufgebrochen, um den König zu töten, der ihre Brüder und Schwestern versklavt. Aber das Messer befindet sich in keiner Elfenhand.«
Celdwyn zog etwas aus ihrer Rocktasche. Mit einem dumpfen Laut schlug sie den Gegenstand auf den Tisch. Die Stammesfürsten zuckten zusammen und reckten dann verblüfft die Köpfe. Unter der knochigen Hand der Seherin glänzte ein Dorn aus Stein.
»Dies ist das Messer, gefertigt mit dem größten Zauber des Elfenvolks! Durch einen Zufall ist es in unseren Besitz gekommen – und nun geben die Götter uns auf, zu entscheiden, was mit ihm geschehen soll.«
»Das soll ein Messer sein?«, wiederholte einer der Dorfobersten und hielt sich den langen Bart zurück, während er sich reckte, um einen Blick auf den Dorn zu erhaschen. »Es sieht stumpf aus!«
»Und das ist es«, erklärte Celdwyn. »Es wird kaum eine Brust durchbohren können. Und doch ist es die einzige Waffe, die den Träger der Halbkrone töten kann. Ich wüsste nicht, was dieser Dorn sonst sein sollte – einen ähnlichen Stein habe ich noch nie gesehen. Es kann nur Elfenmagie dahinter stecken.«
Lautes Stimmengewirr brach los.
»Ruhe – Ruhe!«, rief der Fürst von Lhorga und gebot der aufgebrachten Runde, wieder Platz zu nehmen. Dann erhob er sich feierlich. »Ich sage, das Messer ist durch den Willen der Götter in unseren Besitz gelangt. Ein Mensch hat die Krone der Moorelfen erobert, wir Hykaden finden das magische Messer – das sind Zeichen von Vater Himmel und Mutter Erde! Die Götter sagen uns, dass die Menschen das Elfenvolk erobern sollen!«
Nun erhoben sich
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