Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
muss um sein Kind bangen, wenn wir stattdessen sie ausschicken.«
Sorgsam tätschelte er den Arm seines Sohnes. »Und wenn das Mädchen tatsächlich versagt und das Messer nicht zum König findet … nun, dann ist auch das der Wille der Götter, will ich meinen. Und wir müssen nie wieder einen Gedanken an das Messer verschwenden. Unser Gewissen bleibt rein.«
Der Fürst von Lhorga schwieg nachdenklich.
Dann wandte er sich Celdwyn zu. Für einen kurzen Augenblick war die Ratlosigkeit in seinem Gesicht zu lesen.
»Was sagst du, Celdwyn?«, murmelte er.
Die Augen der Alten richteten sich auf den Fürstensohn. Wie gut, dass sie rechtzeitig für seine Anwesenheit in der Versammlung gesorgt hatte …
»Schicke das Bastardmädchen«, sagte sie leise.
Celdwyns weises Wort
Es war bereits Abend, als es an der Tür klopfte. Agwin selbst erhob sich und legte ihr Nähzeug zur Seite, um nachzusehen, wer sie besuchte. Vielleicht war es die Seherin, die ihr das Geld für die Kohlköpfe bringen wollte. Oder, überlegte Agwin düster, ein anderer, der sich aus irgendeinem Grund über Nill beschweren wollte. Das Mädchen war zu nichts fä-
hig, dachte Agwin, nicht einmal Kohlköpfe zu verkaufen gelang ihr.
Aber vor der Tür stand tatsächlich die Seherin Celdwyn. In der rechten Hand hielt sie eine Laterne, denn ihre Hütte stand abseits des Dorfes, und es war
bereits so dunkel, dass sie den schmalen Trampelpfad ohne Licht nicht gefunden hätte.
»Die Götter seien mit dir, Agwin«, grüßte Celdwyn.
Agwin musterte argwöhnisch die Seherin, die vor ihr stand wie eine alte, krumme Krähe und sogar den Kopf auf vogelähnliche Weise schief gelegt hatte.
Dann verzog sie die verkniffenen Mundwinkel zu einem knappen Lächeln und trat zur Seite. »Sei ge-grüßt, hohe Seherin«, erwiderte Agwin und schielte bereits auf den Leinenbeutel, den die Alte in der linken Hand hielt. »Was führt dich her? Tritt ein – sei willkommen.«
»Oh, vielen Dank.« Celdwyn stellte ihre Laterne ab und ging an Agwin vorbei ins Haus. Einen Augenblick hielt sie inne, das Gesicht erhoben, als wit-tere sie etwas in der Luft, dann erspähte sie Nill, die im Türrahmen der Küche erschien.
Als sie die Seherin erblickte, erschrak Nill so sehr, dass sie sofort wieder zurücktrat.
Nun war sie hier. Den ganzen Tag über hatte Nill gebangt und gefürchtet, was wegen des Steindorns mit ihr geschehen würde. Sie hatte schließlich geahnt, dass es ein bedeutender Gegenstand war, vielleicht sogar ein gefährlicher. Ausgerechnet die Seherin hatte ihn entdeckt, die bestimmt wusste, was es damit auf sich hatte. Und jetzt war sie gekommen, um Nill zur Rede zu stellen!
Celdwyn trat in die Küche. Angesichts der erschrockenen Nill musste Celdwyn lächeln und ent-blößte dabei eine Reihe blau gefärbter Zähne.
»Guten Abend, Nill. Das ist doch dein Name?«
Nill nickte. Inzwischen war Agwin hinter der Seherin aufgetaucht. Fragend sah sie Nill an. »Was stehst du an der Wand herum? Hast du dich in einen Besen verwandelt?«
Celdwyn lachte auf und drehte sich zu Agwin um.
Die schien gar nicht zu wissen, wie sie mit der be-schwingten Fröhlichkeit der Alten umgehen sollte.
Verdattert wanderte ihr Blick zwischen Celdwyn und Nill hin und her. Dann nahm die Seherin, noch immer kichernd, am Tisch Platz und legte ihren Leinenbeutel vor sich hin.
»Nill, setze dich bitte zu mir«, sagte sie.
Nill zögerte. Erst auf einen erwartungsvollen Blick Agwins hin löste sie sich von der Wand und näherte sich der Seherin.
Bevor Agwin es ihr gleichtun konnte, bat Celdwyn sie: »Agwin, wärst du so gut und machst uns einen Tee? Ich bin alt, wie ihr wisst, und die Kälte ergreift mich immer wieder. Dann werden meine Gelenke und Glieder steif und ich habe doch noch einen Heimweg vor mir. Etwas Warmes wäre sehr schön.«
Wortlos machte sich Agwin daran, den Wunsch der Seherin zu erfüllen, beobachtete aber aus den Augenwinkeln, wie sie sich näher zu Nill vorbeugte.
Eine Weile sagte Celwyn gar nichts. Ihre alten, versunkenen Augen waren auf Nills Gesicht gerichtet, und ihr Blick schien jeden ihrer Gedanken abzu-tasten … vorsichtig, bedacht, wie mit rauen, behutsamen Händen. Celdwyn musterte Nills Augen, die
halb hinter ihrem strubbeligem Haar verschwanden; an ihnen war leicht abzulesen, dass das Mädchen kein gewöhnlicher Mensch war. Und doch, überlegte die Alte, war in ihnen dieselbe menschliche Furcht wie in allen anderen Augen.
»Ahnst du, wieso ich hier bin?«,
Weitere Kostenlose Bücher