Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
Körper und umschlang die Beine mit ihren Armen.
Bibbernd warteten sie den Tag ab, aber die Zeit wollte nicht vergehen und der Regen nicht nachlas-sen. Nill war kalt. Die Kleider hingen ihr schwer und vollgesogen am Leib, ja selbst die Haare klebten ihr auf den Wangen, dem Nacken, am Hals, und von ihren Wimpern rollten die Regentropfen. Aus Langeweile holte sie einen Brotkanten aus ihrem Quersack, brach ihn in immer kleinere Stücke und aß sie, während der Regen das Brot noch in ihrer Hand auf-weichte.
Der Regen blieb und hin und wieder mischte sich ein unheilvolles Beben in sein Prasseln. Dann wurde es schlagartig dunkel und die Nacht goss sich wie Tinte über das Land. Nill und die Elfen suchten unter einer mächtigen Tanne Schutz, deren Wurzeln selbst dick wie Baumstämme und so hoch waren, dass man auf ihnen hätte klettern können. Mit viel Geschick gelang es Arjas und Mareju, ein Feuer zu entfachen, wobei die Brüder sich erst gegenseitig rau anherrsch-ten und später, als ihr Werk fröhlich vor sich hinfla-ckerte, eifrig beglückwünschten. Sie zogen sich die tropfenden Kleider aus und hängten sie nahe der Flammen an Äste. Nill war beschämt und wusste mehrere Augenblicke lang nicht, was sie tun sollte.
Aber schließlich überwand sie sich, legte ihren dunklen Umhang und die Tunika ab und ließ sich im Unterkleid vor dem Feuer in die Hocke sinken. Dann wartete sie mit den Jungen und dem Keiler darauf, dass die Wärme sich in ihre halbgefrorenen Glieder schlich.
Die nächsten zwei Tage und Nächte regnete es unaufhörlich. Nill konnte sich kaum mehr erinnern, wie es sich anfühlte, trocken und warm zu sein. Sie hatte sich an das ewige Prasseln gewöhnt, das ihr auf den Kopf und die Schultern schlug und das Denken fast unmöglich machte. Die Gefährten sprachen kaum mehr miteinander. In den zäh dahin rinnenden Stunden merkte Nill, wie ihre Hand immer öfter nach dem Steindorn tastete. Wenn sie spürte, dass er noch in ihrer Rocktasche war, ganz nah an ihrem Körper, war sie erleichtert und wollte die Hand kaum von der leichten Wölbung unter dem Stoff nehmen.
Es war am späten Nachmittag des dritten Tages, als der Regen für eine kurze Weile schwächer wurde, die einzelnen Tropfen sich dünn und lang machten und sich wie silberne Fäden vom Himmel herablie-
ßen. Ein wabernder Nebel kroch von den Ufern her über den Fluss. Bald reichte Nills Blick kaum mehr über den Rand der Barke hinweg. Sie fürchtete, dass Arjas, der im Augenblick mit Bruno im Wald wanderte, sie bei diesem Nebel verlieren könnte, aber Kaveh machte ihre Sorgen mit einem Lächeln zu-nichte. Der ewige Regen hatte den Prinz still und reglos werden lassen. Seine Augen waren rötlich um-schattet, die Wangen blass und glänzend. Doch abgesehen davon schien die Kälte weder ihm noch seinen Rittern wirklich etwas auszumachen. Nill hingegen hatte einen Schnupfen bekommen und hüstelte immer wieder.
»Bruno verliert nie eine Fährte. Und Arjas … na ja. Er verliert nie Bruno.« Kaveh verzog die Mundwinkel erneut zu einem durchsichtigen Lächeln.
Dann deutete er mit einem Kopfnicken geradeaus.
»Der Fluss verändert sich.«
Nill wandte sich um. Sie sah nichts außer den dampfenden Nebelschwaden. Das Wasser perlte ihr über die Stirn. Und plötzlich streifte die Barke hohes Schilf. Nill wich erschrocken zurück. Die Pflanzen hatten sich wie aus dem Nichts vor ihnen aufgetan.
Mit einem Mal umgab sie von allen Seiten mannshohes Ufergras. Unter der Barke sah Nill verworrene Schlingpflanzen und Algen durch das Wasser schimmern.
»Sind wir ans Ufer getrieben worden?«, fragte sie.
Erijel stand auf und nahm das Ruder in die Hand.
»Nein. Der Fluss hat sich geteilt. Wir sind in einem Nebenstrom gelandet. Vielleicht treiben wir auch auf einen See zu.«
Bis jetzt war Nill noch gar nicht der Gedanke gekommen, dass der Fluss irgendwo enden musste.
Aber schließlich zog er sich nur durch die Dunklen Wälder – dahinter begannen die Marschen von Korr.
Plötzlich schien sie wie aus einem langen Traum zu erwachen. Die Marschen! Das Dunkle Waldreich lag endgültig hinter ihnen und mit ihm das letzte Stückchen Heimat.
Ein Pfeifen durchdrang den Nebel. Kaveh legte zwei Finger an den Mund und antwortete ihm. Ein paar Augenblicke später schälte sich Arjas’ Silhouet-
te aus dem Dunst und neben ihm, wie ein großer Schatten, Bruno.
Erijel steuerte die Barke an ihn heran und sprang als Erster ans Ufer. Vom Regen platt gedrücktes, gelbes Gras
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