Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
die Gefährten durch die Tür. Sie gingen eilig an den Grauen Kriegern vorbei, die mit Lanzen und Speeren an den Mauern standen. Vor ihnen ragte ein steinerner Torbogen auf, gesäumt von einem Wasservorhang. Die Gefährten liefen darunter hindurch und folgten den Straßen, die steil in die Tiefe führten.
Laternen tauchten die Gassen in verschwommenes Licht. Rings um sie erhoben sich hohe, dicht anein-
ander gebaute Häuser mit Baikonen, Vorsprüngen und Terrassen. Fahnen hingen tropfend von Turm-spitzen herab und Türglocken klirrten im Regen.
Durch die Fenster, die mal rund, mal eckig, mal fla-schenförmig auf die Straße hinausguckten, drang von Vorhängen bunt gefärbtes Licht.
Bald tauchten breite, glitschige Treppen vor Nill und den Elfen auf, drehten sich wie Spiralen in die Tiefe oder änderten immer wieder ihre Verläufe mit unerwarteten Ecken. Häuser mit viel zu kleinen Tü-
ren und dafür doppelt so großen Fenstern, mit riesigen glockenförmigen Dächern und Türmen, deren Spitzen wie bunte Hauben auf den Lehmwänden sa-
ßen, drängten sich an die Treppen und verbanden sich darüber mit Hängebrücken und wackeligen Steinbogen. Gestalten liefen durch die Dunkelheit, beachteten die Gefährten aber nicht oder waren so schnell verschwunden, dass man nur das Platschen ihrer Füße in den Pfützen hörte.
Die Stufen endeten in einer Pflasterstraße. Ge-dämpfte Musik, Gelächter und Stimmen kamen ihnen entgegen.
»Da sind Schänken«, sagte Kaveh und deutete in die Straße. Sie gingen an den Häusern vorbei, deren bunte Glasfenster Licht in die Nacht entließen. Die Häuser waren in allen Farben gestrichen, von schwungvoll geschnitzten Balken gestützt und auf jede erdenkliche Art verziert; dennoch täuschte das nicht darüber hinweg, dass sie jeden Augenblick einzustürzen drohten.
Kaveh trat vor die Tür eines Wirtshauses, zog aber dann abrupt die Hand vor der Klinke zurück.
»Was ist?«, flüsterte Nill. Kavehs Blick hing an einem Schild vor der Tür. »Was steht da?«
»Zutritt für Elfen verboten«, sagte er. Allerdings stand es wesentlich ungebührlicher auf dem Schild –
und statt des Wortes »Elfen« hatte sich der Besitzer für ein Schimpfwort entschieden.
Nill spürte, wie ihr ein Kloß in den Hals stieg.
Entschlossen fasste sie nach Kavehs Ärmel.
»Komm«, sagte sie. »Lass uns einen anderen Gasthof suchen.«
Wie benommen ließ Kaveh sich von Nill wegzie-hen. Sie gingen weiter. Männer, geschminkte Frauen mit Papierschirmen und Straßenkinder standen hier und dort vor den Schänken, sprachen miteinander oder rauchten. Manche folgten den Gefährten mit neugierigen Blicken, während sie von Wirtshaus zu Wirtshaus liefen. Aber vor jeder Tür stand dasselbe: Elfen waren hier unerwünscht. Die Mienen der Ritter wurden zusehends verschlossener, während Nill immer verwirrter wurde. Sollte sie mit den Elfen gegen die Menschen wettern, oder musste sie die Menschen irgendwie verteidigen? Sie wusste nicht, auf welche Seite sie nun gehörte.
»Du gehst allein rein«, beschloss Kaveh vor dem nächsten Wirtshaus. Durch das nahe Fenster drang rotes Licht und umzeichnete sein Profil.
»Ich alleine?«, stammelte Nill.
Kaveh nickte, wobei ihm der Regen von der Ka-
puze tröpfelte. »Du bist ein Mensch. Jedenfalls mehr als wir. Frag einfach nach dem Weg in die Marschen.
Und wir warten direkt vor der Tür. Einverstanden?«
Nill fasste sich und nickte. »In Ordnung.«
Kaveh klopfte ihr zögernd auf die Schulter. »Und
… Nill. Viel Glück.«
Sie nickte wieder, dann wandte sie sich der Tür zu.
Ein rundes Schild mit der Aufschrift Bei Gomwins Glatze hing darüber, und die schnörkeligen Buchstaben glänzten im Regen. Nills Finger glitten zum Türgriff. Vorsichtig drückte sie dagegen, die Tür ließ sich nur schwer öffnen. Sie warf noch einen Blick zu den Rittern, Kaveh und Bruno zurück.
»Bis gleich!«, riefen die Zwillinge.
Dann trat sie ein. Die Tür fiel mit einem dumpfen Knarren hinter ihr zu. Flötenmusik, gedämpftes Licht, Stimmengewirr und stickige, feuchte Luft empfingen sie. Nill strich sich die Kapuze vom Kopf.
Das Wasser lief ihr von den Kleidern und tropfte auf die Holzdielen. Sie sah sich um.
Rechts von der Tür standen mehrere Tische und Stühle. Finster aussehende Männer und Frauen lachten und tranken und spielten Karten. Direkt vor Nill zog sich eine Theke entlang, an der noch mehr Menschen saßen. Und links, wo es ein wenig dunkler war, konnte Nill eine Treppe
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