Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
alle müssen einander vertrauen.«
Scapa schnaubte. »Ich habe nicht angefangen.
Aber wenn der Elf da einen Pfeil auf mich richtet, sobald ich mich bewege, kann ich wohl kaum das magische Messer und Nill beschützen!«
Mit einem Gähnen ging Nill unter die Felsen zu-rück, hüllte sich in ihren Umhang und packte ihre Sachen zusammen.
»Lasst uns aufbrechen«, sagte sie. »Wenn ich richtig liege, sind wir in den Bergen sicherer vor den Grauen Kriegern als hier.«
»Da hat Nill Recht«, pflichtete Arjas ihr zu, der bereits seinen Proviantbeutel geschultert hatte und sich die vom Schlaf zerzausten Haare glatt strich.
»Lasst uns einfach gehen. Je schneller wir diese Sandebene verlassen, desto besser.«
Kaveh und Scapa sahen sich finster an. Doch schließlich senkte Kaveh seinen Bogen wieder, und ohne den Dieb aus den Augen zu lassen, packte er seine Sachen.
Sie gingen schweigend ihres Weges. Wie gestern schon lief Scapa ganz hinten und immer ein Stück abseits. Sein Blick verließ nur selten den Horizont, an dem die Berge sich immer deutlicher vom Him-melsblau abhoben.
Bruno lief währenddessen dicht neben dem Prinzen her und grunzte unruhig. Er roch die Grauen Krieger. Manchmal schien ihr Geruch so schwach, dass sie vor mehreren Stunden hier gewesen sein
mussten, manchmal war er so nah, dass Bruno laut aufschnaubte und sie sich rasch hinter Felsen versteckten, weil eine Reiterei an ihnen vorbeipreschte.
Die Sonne brach im Westen durch die bauschigen Wolken und tauchte das Land in Rot. Mittlerweile lagen die Sandhügel fast ganz hinter ihnen. Der Weg schlängelte sich an Felsen entlang und es ging an manchen Stellen schon bergauf. Direkt vor den Ge-fährten erhoben sich die Gebirge, tiefgrün an ihren Abhängen, blassblau an ihren Spitzen. Die Berge waren nicht sehr gefährlich und auch nicht so hoch wie in den Dunklen Wäldern. Kaveh schätzte, dass sie in drei Tagen zu überqueren sein mussten, sofern nichts dazwischen kam. Wenn sie sich beeilten, erreichten sie womöglich den Fuß der Berge vor Einbruch der Nacht.
Schon ein paar hundert Meter, bevor sie es sahen, bemerkte Bruno den Geruch. Kaveh blieb stehen, als der Keiler schnaubte. Er zog sein Schwert und wandte sich zu den Gefährten um.
»Da ist etwas«, sagte er. Augenblicklich kehrte die Spannung in die Gesichter der anderen zurück. Sie hatten sich während des Tages schon viermal vor den Grauen Kriegern versteckt. »Etwas … Totes.«
Sie zogen ihre Waffen. Erijel und Mareju hatten ihre Bogen sogleich von den Schultern genommen, Arjas nahm sein Schwert in beide Hände. Auch Nill und Scapa hielten Dolch und Jagdmesser bereit. Scapa trat zum ersten Mal direkt neben Nill.
Sie gingen vorsichtig weiter. Der Pfad bog um ei-
nen Felsvorsprung. Schatten malten sich auf den Boden. Stockend hielten die Gefährten inne. Vor ihnen zeichnete sich eine seltsame Form auf dem Kies ab.
Es war der lang gezogene Schattenwurf eines Stabes oder eines sehr geraden Baumes – dann verlor sich der Stab- oder Baumschatten in einer unförmigen Masse. Kaveh schluckte. Schließlich fasste er Mut und trat um die Wegbiegung.
Krähen flatterten auf und begannen, am roten Himmel zu kreisen. Das Schwert in Kavehs Händen sank. Hinter ihm knirschte der Kies, als die anderen sich näherten.
Am Wegrand waren Holzpfähle in die Erde ge-rammt. Fünfzehn, zwanzig mochten es sein. An ihnen hingen leblose Elfen.
Kavehs Schwertspitze stieß mit einem Klirren gegen den Boden. Wie benommen trat er an die Ge-hängten heran.
Fliegenschwärme schwirrten auf, als Kaveh zu den Toten aufsah. Starre Augen blickten ihm entgegen, manche waren gen Himmel verdreht. Wie im Traum ging Kaveh an der langen Reihe vorbei. Verräter stand in Elfen- und Menschensprache auf den Schil-dern geschrieben, die an die Pfähle genagelt waren.
Verräter am König. Verleumder der Krone. Spion der Dunklen Wälder …
Es waren auch Freie Elfen aufgehängt. Kaveh stiegen Tränen in die Augen, als er in das verdrehte Gesicht einer Elfe der Wälder blickte. Aus ihrem Mund hing ein roter Speichelfaden. Plötzlich kroch
eine Fliege zwischen ihren Lippen hervor, das Insekt tastete sich langsam und mit flirrenden Flügeln aus dem Mundwinkel –
Kaveh schrie. Er taumelte, ihm versagten die Knie und er kroch auf Händen zurück, während er den Blick nicht von der Elfe lösen konnte.
Die Fliegen. Sie war tot und in ihr die Fliegen.
Erijel war vor Kaveh getreten, er musste herbeige-rannt sein und ergriff Kaveh an
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