Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
murmelte Nill und zuckte mit den Schultern. »Sie ist auch nur ein Ge-fühl wie Hass oder Trauer oder Langeweile. Liebe ist nur ein Gefühl, das kommt und geht, aufglimmt und erlischt, es ist vergänglich wie die Jahreszeiten, wie Tag und Nacht, wie der Herzschlag eines jeden Menschen … und Elfen. Das ist so wie das Leben und der
Tod. Liebe vergeht, weißt du, und wird an einem neuen Ort einfach wiedergeboren.«
Scapa schüttelt den Kopf. »Nein!« Nill blickte ü-
berrascht auf. »Nein. Das glaube ich nicht. Manchmal«, flüsterte er, »ist die Liebe unsterblich!«
Nill schwieg eine Weile. Dann glitt ein scheues Lächeln über ihr Gesicht, ihr Haar fiel ihr in die Stirn und sie strich es sich hinter die Ohren. »Ja, manchmal können Augenblicke der Liebe vielleicht unendlich sein.«
»Es gibt sie, die Liebe, die so ewig währt wie eine Legende.« Er hatte sich vorgebeugt, so als fürchte er, jemand anderer als Nill könne ihn hören. Dann ließ er sich auf den Rücken sinken. Auch Nill hüllte sich wieder in die Decke. Sie lagen sich gegenüber, nicht sehr nah, aber nah genug, dass Nill seinen Atem hör-te, ganz leicht nur.
»Ich kenne so eine Liebe«, wisperte er. »Sie ist ei-ne Erinnerung. Drei Jahre sind vergangen, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Arane.« Ihr Name war wie ein Ausatmen; er schien ihm zu entgleiten, ganz leicht, ganz schwer. »Sie war alles, was ich je hatte.
Das einzig Gute, Schöne, das ich je gefunden habe.
Der einzige Mensch, der mich geliebt hat. Ich habe viel gekämpft in meinem Leben, ich habe getötet …
Ich habe schreckliche Dinge getan, um mächtig zu werden, so schreckliche Dinge … Vielleicht tut es mir nicht mal Leid. Denn alles, was ich getan habe, habe ich auch für Arane getan. Ich hätte hundert Männer erschlagen mit meinen eigenen Händen, um
sie ins Leben zurückzuholen! Ich wäre für sie gestorben … Ich werde für sie sterben.«
Nill wagte sich nicht zu rühren. War diese schwankende, verzweifelte Stimme wirklich die des Herrn der Füchse?
»Tu es nicht«, flüsterte Nill, bevor sie nachdachte.
»Du solltest nicht hier sein, Scapa. Wirf doch dein Leben nicht weg für – für etwas, das dich schmerzt.«
»Die Erinnerung an Arane schmerzt mich nicht.
Sie ist alles, was ich noch habe. Ich finde nur schlimm, wie die Erinnerung endet – und ich werde es ändern. Ich lasse es so ausgehen, wie es ausgehen sollte. Arane hat es verdient, gerächt zu werden. Und ich habe es verdient, nicht mehr allein zu sein.«
»Vielleicht bist du gar nicht allein. Dein Freund Fesco ist dir soweit gefolgt – ihm scheinst du sehr wichtig zu sein. Und außerdem …« Nill atmete tief durch. Sie drehte sich auf den Rücken. Es war eine dunkle Nacht, nur hier und da, wie weiße Kieselsteine in einem schwarzen See, funkelte eine Hand voll Sterne über ihnen. »Weißt du, ich war auch sehr lange allein. Vielleicht bin ich es noch. Aber früher, in den Dunklen Wäldern, da habe ich mit den Lichtern und Schatten zwischen den Ästen gelebt. Ich habe den Bäumen gelauscht, ich habe … mit ihnen geflüstert wie wir beide jetzt flüstern. Kaveh sagt, dass die Elfen an Geister glauben, nicht an Götter, und dass diese Geister überall um uns herum sind: im Wasser, im Wind, in Bäumen und Pflanzen, sogar in der Erde und in uns selbst. Ich glaube, solange es diese Geis-
ter gibt, können wir niemals ganz allein sein. Wir müssen ihnen nur zuhören.«
Mit pochendem Herzen wartete Nill seine Antwort ab. Aber damit ließ er sich Zeit. Schließlich raschelte seine Decke, sie hörte, wie er sich ebenfalls umdrehte. Sah er zum Himmel empor?
»Es ist schwer, sich mit Bäumen und Geistern zufrieden zu geben, wenn man einmal jemanden aus Fleisch und Blut gemocht hat«, sagte er.
Nill biss die Zähne aufeinander. Schließlich wälzte sie sich auf die andere Seite und zog die Knie an die Brust. »Vielleicht hast du Recht. Gute Nacht.«
Eine Weile schwebte Stille zwischen ihnen.
»Gute Nacht, Nill«, flüsterte Scapa.
Nill gab keinen Ton mehr von sich. Sie tat, als würde sie schlafen.
Die Klippen
Na, meine Kleine? Hast du Hunger? Warte, hier …
Mal sehen, ob ich ein Stückchen Brot für dich finde.«
Erijel öffnete die Augen und hatte Fesco bereits am Hemd gepackt, bevor er seinen Proviantbeutel überhaupt anrühren konnte.
»He, he, nimm deine Griffel weg!«, rief Fesco.
»Lass dir eins gesagt sein, Dieb«, knurrte Erijel und setzte sich auf, ohne Fesco loszulassen. »Einen
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