Nuyen, Jenny-May - Nijura, das Erbe der Elfenkrone
vorstehenden Fels und ließ Bogen, Köcher und Proviantbeutel zu Boden sinken.
»Ein Feuer ist zu gefährlich. Wir werden uns so unterhalten müssen, Dieb.«
Nill hatte den Verdacht, dass Kaveh nicht nur wegen der Grauen Krieger auf ein Feuer verzichtete: Offensichtlich kostete er es aus, dass er in der Dunkelheit wie eine Katze sehen konnte, während Scapa schon jetzt über jeden Stein stolperte.
Scapa aber legte in aller Ruhe seinen Quersack zu Boden und setzte sich mit gekreuzten Beinen nieder.
»Dir werde ich gar nichts erzählen«, sagte er gelassen und suchte in seinem Quersack nach einem Brotkanten. Herzhaft biss er hinein und fügte kauend hinzu: »Nill sag ich es. Sie ist doch dieses Kristallkind.«
»Das Weiße Kind«, fauchte Arjas.
Scapa wandte den Kopf in die Richtung des Ritters.
»Danke. Das Weiße Kind. Ihr sagt also, dass Nill den König töten kann. Dann werde ich ihr verraten,
wieso ich dabei mithelfen will, und das geht nur sie was an.«
»Uns geht es sehr wohl auch was an!«, sagte Kaveh. »Wir sind für Nills Sicherheit zuständig, glaubst du, da lassen wir einen fremden Dieb in ihre Nähe, dessen Beweggründe wahrscheinlich genauso zweifelhaft sind wie seine Ehre?«
Scapa schluckte den Bissen Brot hinunter. »Sei froh, dass ich auf meine Ehre pfeife, Schweineprinz, sonst lägst du jetzt mit dem Rücken auf der Erde.«
Das war eine leere Drohung. Kaveh war zwei-felsohne besser im Kampf ausgebildet, abgesehen davon machte die Finsternis Scapa mittlerweile so gut wie blind. Trotzdem klang er, als stünden nicht die Elfenritter, sondern seine treuen Füchse hinter ihm. Er zog einen Wasserschlauch aus seiner Tasche und nahm einen Schluck. Geduldig schraubte er den Schlauch wieder zu. »Solange ihr hier seid, sage ich überhaupt nichts.« Kaveh bebte vor Wut. Was bildete sich dieser Halunke ein! Trotzdem zwang sich Kaveh, Ruhe zu bewahren. »Bevor ich dich mit Nill allein lasse«, sagte er, »will ich deinen Schwur, dass du ihr kein Haar krümmen wirst. Du sollst schwören, dass du, wenn du bei uns bleibst, dein Leben für sie zu opfern bereit bist. Schwöre es!«
»Ich schwöre es«, erklärte Scapa schlicht.
»Schwöre bei deiner Seele!«
»Ich … schwöre es bei der Seele einer Toten. Die ist mir mehr wert als die eigene.«
Einen Moment stand Kaveh reglos vor ihm. Dann
schlug er den Mantel zu und ging, in der Elfensprache fluchend, davon. Erijel, die Zwillinge und Bruno folgten ihm schweigend.
Zwanzig Schritte weiter blieb Kaveh stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte die beiden Umrisse, die er von Nill und Scapa erkennen konnte.
»Die Seele einer Toten!«, schnaubte er. »Pfeift auf seine Ehre und legt keinen Wert auf die eigene Seele
… Kann ein Mensch noch schlimmer sein?«
»Hm!« Mareju stellte sich dicht hinter den Prinzen. »Bestimmt ist er ein kleines Muttersöhnchen und denkt an die Seele seiner dicken Mama im Himmel.«
Eine Weile stand Nill wortlos vor Scapa und blickte auf ihn herab. Er hatte die Arme auf die angewinkelten Knie gestützt und schien ihren Blick ruhig zu erwidern.
Dann grinste er. »Zu beneiden bist du auch nicht gerade mit diesen Hampelmännern in deinem Gefolge.«
»Du bist ein Lügner!«, stieß Nill hervor. Zu ihrem eigenen Erstaunen fiel es ihr leichter, die Wut he-rauszulassen, als sie gedacht hatte.
»Was?«, fragte er verdutzt.
»Du hast schon richtig gehört, du – du Betrüger!«
Wieso starrte er sie an, als wisse er nicht, wovon sie sprach? Hatte er sie etwa schon öfter angelogen als das eine Mal in der Nacht?
Scapa lehnte sich zurück. »Wie kommst du darauf? Ich habe keinen Schimmer, was du meinst.«
Nill ballte die Fäuste, zum Glück konnte er nicht sehen, wie ihr vor Scham und Demütigung das Blut in die Wangen stieg, dieser Halunke! Nill kam auf ihn zu und stieß mit dem Fuß Sand in seine Richtung. Erschrocken hob er die Hände.
»Du hast mich bestohlen letzte Nacht, und du hast gesagt, dass ich … Du hast mir den Steindorn im Schlaf geklaut!«
Wie wütend war sie auf ihn, wütend auf diese eine Nacht, wütend darauf, das er ihr ins Gesicht gelogen hatte, und wütend, dass sie … dass sie es geglaubt hatte.
»Ich – Nill – ich habe nicht gelogen in dieser Nacht«, sagte er schnell. Dann fuhr er sich durch die Haare und wies ungeduldig auf den Boden. »Was ist, soll ich dir jetzt erzählen, was ich hier zu suchen ha-be oder nicht?«
Nill begriff einen Moment lang gar nichts mehr.
Hatte sie
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