Nybbas Nächte
Die Vorstellung, er würde es tun, kam von allein und sie ließ die Augen zufallen. Den nächsten Seufzer konnte sie nicht unterdrücken. Sehnsüchtiges Ziehen breitete sich in ihrem Unterleib aus. Ihre Finger zitterten. Sie spürte Nicholas’ Hand warm an ihrer Wange.
„Mach die Augen auf.“
Sie gehorchte.
„Gut.“ Mit der Zunge benetzte er seine Lippen. „Jetzt sind sie schwarz für mich. Denk an mich, wenn du dich allein fühlst, genau wie jetzt. Sei mein, wann immer jemand anderes nach dir ruft. Ich teile dich nicht. Du gehörst mir.“
Dann spürte sie es. Ein feiner Haarriss, der sich wie eine Laufmasche durch ihre Wirbelsäule zu ziehen schien. Die Lust und das Verlangen schwanden, dafür wurden Nicholas‘ Augen glasig. Er lächelte spitzbübisch und saugte genießerisch an seiner Unterlippe.
„Wow. Du schmeckst unwiderstehlich. Wenn ich zurückkomme, hast du ein Problem, denn dann werde ich mehr davon wollen.“ Er küsste ihre Stirn und wandte sich Richtung Tür. Die Hand bereits an der Klinke blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu ihr um. „Ich bring alles in Ordnung, Jo. Ich verspreche es. Pass auf dich auf. Nimm dich vor Elias in acht. Er wird dich beschützen, aber glaube nie auch nur ein Wort von dem, was er sagt.“
Sie räusperte sich mühsam. „Du vertraust ihm noch immer nicht?“
„Ich könnte ihm mein Leben anvertrauen.“ Nicholas fuhr sich durchs Haar. „Aber ich weiß nicht, ob das auch für dich gilt. Sei vorsichtig.“
Damit verschwand er ohne ein Wort des Abschieds. Joana lauschte auf das ungesunde Knattern, das verriet, dass Tomtes Wagen aus der Einfahrt fuhr.
21
D
as Flugzeug nach Düsseldorf startete am späten Nachmittag. Von dort ging es nach hektischem Umsteigen weiter in Richtung Moskau. Die spartanisch ausgestattete Tupolew hob sich einer der dunkelsten Nächte entgegen, an die Nicholas sich erinnern konnte. Schwärze presste sich glotzend an die Fensterscheiben. Nicholas starrte eisig zurück.
Seine Gedanken kreiselten um Elias, der in einer einzigen Nacht nicht nur jedweden Respekt, sondern auch seinen Hass aufgegeben hatte, sowie um Joana, bei der er sich fragte, ob ihr Verständnis irgendwann einmal an Grenzen stoßen würde. Wenn er ihr gestand, ihren Vater getötet zu haben, zum Beispiel.
Ihre Lust prickelte noch immer in seinen Adern, nährte den Dämon. Wärmte ihn. Vor allem beruhigte ihn der Gedanke, dass sie, da er ihr diese Empfindung genommen hatte, in den nächsten zwei, drei Tagen keine Lust empfinden würde, was immer Choskeih auch in ihrem Kopf anstellte. Ein schwacher Trost. Die Maschine unterbrach sein sinnloses Grübeln, indem sie durch ein Luftloch buckelte. Er dachte an den Leviathan und an den Neid, den dieser befehligte. Nicholas hasste Neid. Wann immer er Emotionen an sich nahm, versuchte er Neid zu meiden. Er schmeckte dem Nybbas nicht.
Dass er sich dem Herrn dieser Sünde entgegenstellen musste, schmeckte ihm noch weniger. Doch es war die einzige Möglichkeit, Joana und damit auch sich zu befreien, und das machte es zu einem guten Plan.
Es war früher Morgen, als das Flugzeug in Moskau Domodedowo landete. Nicholas gönnte sich einen bitteren, lauwarmen Kaffee und ein gummiartiges Sandwich, ehe er mit dem Taxi nach Solkoniki fuhr, einem Bezirk im Osten der Stadt. Von graublauem Dämmerlicht übergossen, breitete sich die Straße vor ihm aus, deren Namen er in Choskeihs Informationen ausfindig gemacht hatte. Zunächst fürchtete er, zu spät zu kommen. Ein paar Jahrzehnte zu spät. Die Häuser zu beiden Seiten der unebenen Kopfsteinpflasterstraße wirkten verlassen. Kahle Lärchen, zwischen deren Ästen Eiskristalle hafteten, wachten wie gigantische Geister über die Einsamkeit.
Der Taxifahrer hielt vor einem Haus, eingerahmt von Bäumen, Sträuchern und verdorrten Rosengewächsen, die sich um Zäune und einen Torbogen schlängelten. Nicholas drückte ihm ein paar Scheine in die Hand und stieg aus. Er hatte nicht daran gedacht, Geld zu wechseln, doch der Mann war auch mit Euros zufrieden. Das Taxi knatterte in einer nach Öl stinkenden Wolke davon und Nicholas trat durch den verwitterten Torbogen. Reif lag wie eine Schicht aus Spinnweben über dem Anwesen. Es war so kalt, dass er glaubte, das Knistern zu hören, mit dem sein Atem in der Luft gefror. Für einen Moment rief er sich Joanas Bild in den Kopf. Stellte sich vor, wie er sich an ihren Körper schmiegte. Nicht nur, um sie zu beschützen. Auch, um sich an ihr zu
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