Nybbas Nächte
gelassen. Es hatte ihr nicht ausgereicht, die Frau zu töten, sie hatte ihr die Kehle buchstäblich herausgerissen. Die weit aufgerissenen Augen der Clerica offenbarten den Horror ihrer letzten Sekunden. Der Nybbas hatte es vermutet. Die Speculara hatte ihrer jahrelangen Gefährtin die Zuneigung nur vorgespielt. Geduldig hatte sie den perfekten Zeitpunkt abgewartet, um sich diese einseitige Freundschaft irgendwann zunutze zu machen. Von dem Moment an war die alte Frau für die Dämonin nur noch Schlachtvieh gewesen.
Beide Dämonen blieben in Schattengestalt, um durch das Blut, das immer noch aus dem zerfetzten Hals der alten Frau tröpfelte, nicht in Versuchung geführt zu werden. Die Dämonenkörper hungerte es immerzu nach Fleisch und Blut. Instinkte waren stärker als Prinzipien.
Zaghaft berührte der Nybbas die Stirn der Clerica zum Abschied mit einer Schattenkralle. Das menschliche Flackern in ihm hätte gerne ihre Augen geschlossen, oder ihren Mund, der zu einem stummen Schrei verzerrt war; wollte die Illusion von ein wenig Frieden für diese Frau schaffen, die seinen Respekt verdient hatte. Doch die Wahrheit war nicht manipulierbar. Nicht einmal für ihn. Das blassrote Haar der Frau bewegte sich wie vom Wind berührt, als er darüberstrich.
„Bevor ich das Rudel an mich nahm“, erklärte der Koshchei mit seiner fauchenden Stimme, „gab es oftmals Angriffe auf Skröggandi. Man fand ihre Leichen ausgeblutet, oft zerfetzt. Aus diesem Grund verloren die Füchse das Vertrauen in ihre damaligen Anführer. Irgendwann erwischte es dann auch Svalan, das Oberhaupt der größten Familie, und ich bot ihnen an, die Rotten unter meiner Leitung zu einem großen Rudel zu vereinen. Wir schufen Sicherheitsmaßnahmen und die Angriffe hörten auf. Ich glaubte, das Wesen, das nach dem Blut der Füchse trachtete, sei weitergezogen und hätte Island verlassen. Stattdessen nistete sie sich gemütlich ein und wartete auf den Moment, mich von hinten zu erwischen.“ Er lachte, ein schepperndes, humorloses Geräusch. „Sie ist nicht einmal selbst gekommen, sondern hat dich und deine Frau gegen mich ausgespielt.“
Sie muss alt sein
, erwiderte der Nybbas.
Sehr alt, wenn sie über Zwei Jahrzehnte ausharrt, ohne die Geduld verlieren
.
„Zu alt, oder was denkst du, mein Freund?“
Bei Weitem alt genug, um heute Nacht zu sterben
.
Der Koshchei öffnete das bärenfallengroße Maul und züngelte. Ein Laut, als glitten kleine Kiesel über eine metallene Fläche. Er kostete die Luft mit seiner gespaltenen Zunge.
„Folge mir. Ich habe ihre Fährte.“
Der Vorteil der Jäger bestand darin, dass die Speculara ihren menschlichen Leib nicht verlassen konnte, ohne sogleich zwischen die giftigen mentalen Fänge des Koshcheis zu geraten. Sie folgten ihrer Spur durch die Nacht und hörten bald das Grollen des Motorrads, auf dem sie floh. Wenig später kesselten sie sie ein und materialisierten ihre Körper.
Die Dämonin versuchte gar nicht erst zu entkommen, sondern legte das Motorrad auf die Seite und verschränkte abwartend die Finger. Ihre Miene war zugleich furchtsam und bitter, als sie zwischen ihren Jägern hin- und herblickte. Ihren Plänen nach hätte einer den anderen töten sollen. Den Überlebenden hätte sie durch Joana in Schach halten können und für den Fall, dass der Nybbas überlebte, an den Luzifer ausgeliefert. Zumindest vermutete dies der Nybbas. Ob er richtig lag, würde sie ihm nicht sagen können. Ihre Enttäuschung über den misslungenen Plan war so gewaltig, dass er das Gefühl säuerlich in der Luft schmecken konnte. Ein an Katzenurin erinnernder Geruch, der ihm die Nase brennen ließ.
Es war anzunehmen, dass sie sich eine Belohnung vom Luzifer versprach. Vielleicht erwartete sie, in dessen Gefolgschaft heimkehren zu dürfen, oder ihre Stimme zurückzuerhalten.
Daraus würde nichts werden.
Langsam trat er auf sie zu, bereit, ihre Existenz zu beenden. Ihr hilflos anmutender Menschenkörper hätte ihn nicht aufgehalten, ebenso wenig ihr gebrochener Blick. Was diese Dämonin ihm angetan hatte, war genug, um seine Rachegelüste über alles andere zu erheben. Joanas Anfälle standen ihm vor Augen. Die Folgen derer. Und Elias, dem das Leben schwarz aus dem Auge sickerte.
Doch der Koshchei hielt ihn mit einem einzigen Wort zurück.
„Warte.“
Die Speculara kniff die Augen zusammen, legte den Kopf schief.
„Sie soll ihre faire Chance bekommen“, zischte der Schlangendämon.
Der Nybbas hätte gelacht, wenn
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