Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
seine Klauen verursachten tiefe Wunden im Leib des Gegners. Blut troff auf ihn herab und vermischte sich mit seinem eigenen. Doch der Catácon war zu stark. Zu alt und mächtig. Seine mentale Kraft lähmte den Nybbas. Der Schnabel des Feindes sauste erneut auf ihn nieder. Diesmal gelang es ihm nicht, den Angriff abzuwehren. Der Catácon riss ihm eine weitere, tiefe Wunde in den Arm.
Dann ließ er plötzlich von ihm ab, wich zurück. Mit einer blassgrauen Zunge leckte der Catácon des Nybbas’ Blut von seinem Schnabel und starrte ihn misstrauisch an. Schwer atmend und taumelnd kam der Nybbas auf die Füße und spannte die Muskeln, den nächsten Angriff abwartend.
„Du bist einer der Söhne Luzifers“, sprach sein Gegner beinah ehrfürchtig. „Das wusste ich nicht. Es verbietet mir, dich zu töten … Bruder.“
Der Nybbas schüttelte verwirrt den Kopf. Er hatte den Luzifer nie gesehen. Es hieß, dieser wäre seit fünfhundert Jahren gebannt und bislang nicht gefunden worden. Was, zur …?
Der Catácon trat von einem Fuß auf den anderen und sträubte das Gefieder. „Weißt du nicht, was das bedeutet, du junger Narr?“ Er lachte abgehackt. „Der erste der sieben Fürsten erhebt seinen Anspruch auf dich. Wie auch auf mich. Es ist uns verboten, uns gegenseitig zu töten.“
Dem Nybbas war klar, dass der andere sich irren musste. Er hatte sich in den Jahren seiner Existenz nie unterworfen. Nicht vor dem Luzifer und nicht vor einem der anderen Fürsten. Doch er schwieg. Der dumme Irrtum des Catácons rettete ihm die Haut. Im Kampf um Leben und Tod hätte er gegen den älteren Dämon keine Chance gehabt.
Der Catácon schnaubte abfällig beim Blick auf den Ilyan, der sich in einer Ecke zwischen Geröllbrocken zusammengekauert hatte. „Nimm deinen Balg mit, Bruder. Für heute lass ich ihm sein Leben. Als Zeichen meines Respekts dir gegenüber. Man sagt, du wärst ein rechter Falschmünzer und nur der Intrige mächtig, doch du hast dich auch im Kampf gut geschlagen.“
Was ist mit ihm?
, fragte der Nybbas und deutete auf die Leiche des Alácrasios. Er wurde bereits zu Schatten und verging ohne eine Spur zu hinterlassen.
War auch er einer der Söhne Luzifers?
Der andere lachte nur. „Er stand unter keines Fürsten Hand. Du hast demnach nichts zu befürchten. Du merkst es am Blut, wenn du gegen einen deiner Brüder kämpfst. Du schmeckst dein eigenes Blut, das Blut des Luzifers, deines Herrn.“
Der vogelartige Dämon deutete eine knappe Verneigung an, verließ in langen Schritten den Tempel und verschwand durch den schmalen Gang, der sich spiralförmig bis an die Oberfläche wand.
Der Nybbas trat an die Seite des Ilyan. Am Kragen des zerfetzten Hemdes riss er ihn in die Aufrechte und presste ihn hart gegen das Gemäuer.
Das war das letzte Mal, dass ich deinen erbärmlichen Arsch gerettet habe
.
Der Ilyan lachte schwach. „Du würdest mich immer retten“, wisperte er. „Vor jedem.“
Die Gewissheit, dass er recht hatte, entfachte einen übermächtigen Hass in dem Nybbas. Er schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass seine Krallen tiefe Kratzer auf dem Metall der Maske hinterließen. Blut trat hervor, wie Tränen rannen die Tropfen über eiserne Wangen. Er schlug mit der Faust. Einmal, zweimal, dreimal. Brach jeden Knochen in dem verborgenen Gesicht.
Nur nicht vor mir selbst
.
Er ließ den Ilyan los. Ohne einen Laut sank dieser zu Boden. Der Nybbas wandte sich ab.
Nimm deinen Körper, sobald du in der Lage dazu bist. Draußen steht ein Motorrad, fahr sofort zum Flughafen. In drei Tagen bist du in Hamburg. Und da wirst du bleiben
.
Er ging in die kühle Nacht hinaus und atmete tief durch. Jede Bewegung wurde von beißendem Schmerz begleitet. Seine Wunden würden heilen, aber nicht von allein. Um die Stärke zurückzuerlangen, die nötig war, um zu Schatten zu werden und zurück nach Deutschland zu fliegen, brauchte er Energie. Gefühle reichten nicht, wenn er ganz im Körper des Dämons war. Dieser Leib brauchte Blut, Fleisch und Leben. Sein Instinkt lockte ihn nach Osten. Jenseits der Berge lag ein kleines Dorf. Im Morgengrauen würde dort jemand Geschichte sein.
10
E
inen Moment lang rang Joana mit dem Wunsch, die Wohnungstür mit aller Kraft wieder zuzuschlagen. Jedoch hatte Nicholas schon einen Fuß in den Rahmen gestellt. Eine schwarze Haarsträhne fiel ihm tief in die Stirn. Seine Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, sodass sie blind darauf vertrauen musste, dass
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