Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
einen Kopf kürzer.“
„R-r-ritual?“, stammelte Joana. Sie wollte über diesen Schwachsinn lachen, doch ihr Gesicht verkrampfte sich nur. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Komm mal von deinem Trip runter. An mir wurde ganz sicher kein Ritual durchgeführt.“
„Leider doch. Daran besteht kein Zweifel. Theodor lässt bereits Nachforschungen anstellen, damit wir den Schuldigen finden. In irgendeinem Kontor muss eine Phiole mit dem Elixier fehlen.“
Was für ein Elixier? Tante Agnes’ Gerede ergab nicht den geringsten Sinn.
„Sobald wir wissen, wo sie gestohlen wurde, werden wir erfahren, wer Zugang hatte. Wer immer das auch getan hat, er wird bestraft werden, denn es war nicht rechtens. Für dich wird das allerdings nichts ändern. Die Gabe ist geweckt und du wirst lernen müssen, sie zu nutzen.“
„Agnes, was bist du da für Spinnern aufgesessen? Das ist eine okkulte Sekte oder sowas, die machen dir doch etwas vor. Bestimmt musst du für die Mitgliedschaft in diesem magischen Zirkel ordentlich blechen, oder? Jetzt mal im Ernst, haben die dich einer Gehirnwäsche unterzogen?“
„Joana, du kannst gerne versuchen vor dem Rat durchzusetzen, dass man nicht auf deine Beteiligung besteht. Die Dämonen verhalten sich europaweit derzeit recht friedlich und in Deutschland hatten wir schon lange keine Schwierigkeiten mehr mit ihnen. Möglicherweise lässt man dich einfach gehen, wenn du darum bittest. Aber wenn du erst alles weißt, wenn du erst um den Verdienst erfährst, dann möchtest du vielleicht gar nicht mehr auf diese Möglichkeit verzichten.“ Ihre Tante ließ sich nicht unterbrechen. „Mein Auftrag lautet, dich in unseren Hauptsitz zu bringen. Dort wird der Rat dann alles Weitere entscheiden. Ich habe in dieser Hinsicht leider nichts zu sagen, Liebes. Ich bin nur eine Kriegerin, ich führe nur Befehle aus.“
Mit diesen Worten erhob sich Agnes elegant vom Stuhl und griff nach ihrer Handtasche. Ihre Bewegungen waren die einer älteren Dame, doch ihre Aura tatsächlich die einer Kämpferin. Die Vorstellung, dass diese Frau mit einem verzauberten Schwert gegen Höllenwesen kämpfte, kam Joana plötzlich nicht mehr so abwegig vor. Wie hatte sie diese machtvolle Ausstrahlung ihrer Tante all die Jahre nicht bemerken können? Oder wurde sie jetzt einfach nur verrückt? Himmel, sie hatte immer noch den ganzen Whiskey in der Blutbahn, kein Wunder, dass sie auf Agnes’ Märchen ansprang.
„Ich werde nirgendwo hingehen!“, stellte sie klar. Es war mehr Angst, als Unglauben, die sie antrieb. „Selbst wenn ich es wollte, würde das gar nicht gehen. Ich muss nachher wieder zur Arbeit.“
„Das ist unwichtig, Schätzchen. Du wirst mitkommen. Man wird sich um alles kümmern.“
Joana ballte die Fäuste und presste die Zähne aufeinander. „Ich denke ja nicht einmal daran.“
Agnes hob die Hand in ihre Richtung, seufzte ein „Es tut mir leid“ und malte ein seltsames Zeichen in die Luft. Ihr Blick war von bohrender Intensität und schien unter Joanas Hirnschale zu prickeln und zu brennen.
„Was … was … tust du?“, keuchte Joana und krallte sich an der Stuhllehne fest. Ihre Knie gaben nach. Das hatte nichts mehr mit den Nachwirkungen des Alkohols zu tun. Ganz langsam sank sie zu Boden, gefesselt von einer Kraft, die sie nicht ansatzweise verstand. Wie in Zeitlupe sah sie den Flickenteppich auf dem Laminat näher kommen. „Hör auf!“ Sie wollte schreien, aber ihre Stimme verließ sie und es kam nur ein Wispern. Ihr Kopf sank zu Boden.
„Wir haben keine Wahl“, hörte sie Agnes noch sagen, dann wurde es zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden schwarz vor ihren Augen.
15
E
s war laut. Unerträglich laut. Joana wollte sich die Ohren zuhalten, um den Lärm einzudämmen. Doch ihre Arme wurden festgehalten, oder waren einfach nur zu schwer. Sie bekam die Augen nicht auf. Wind schlug ihr kalt ins Gesicht. Er schien von allen Seiten zu kommen. Ließ sie kaum atmen.
Durch den Lärm vernahm sie Stimmen, doch verstand kein einziges Wort. Sie wurde vorwärts gezogen, ihre Füße schleiften über den Boden. Schließlich hob man sie hoch und trug sie.
Der Lärm nahm ein wenig ab und der Wind hörte auf. Es wurde wärmer. Sie wurde in halbsitzender Position abgelegt, jemand strich ihr übers Gesicht. Es knallte dumpf und sie hörte das Dröhnen nur noch gedämpft. Dafür erkannte sie nun deutlich das Schnurren eines Automotors. Sie versuchte etwas zu sagen, doch ihre Zunge gehorchte nicht. Nur ein
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