Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
Verwirrt schüttelte sie den Kopf und bereute es sofort. Ein Migräneanfall. Auch das noch.
Blinzelnd erkannte sie nackte Haut unter ihrem Gesicht und eine metallene Gürtelschnalle an ihrem Kinn. Zu den Schmerzen und dem Elend gesellte sich augenblicklich das Gefühl, vor Scham im Boden versinken zu wollen. Sie war einfach eingeschlafen und lag nun mit dem Kopf auf seinem Bauch. Wie abgrundtief peinlich. Hatte sie so viel getrunken?
Erneut schüttelte Nicholas ihre Schulter, diesmal fester. „Joana, dein Telefon! Egal wer es ist, sag ihm, dass ich ihn hasse!“
Sie rappelte sich mühsam auf, ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Alles schien skurril verdreht, als würde sie durch einen Zerrspiegel sehen. Auch Nicholas, halb auf dem Sofa sitzend, halb liegend, sah derart albern aus, dass sie kichern musste. Das Klingeln setzte erneut ein, doch sie erkannte nun, dass es nicht ihrem Kopf entsprang, sondern dem altmodischen Wahlscheibentelefon auf dem Sideboard. Sie kämpfte sich vom Sofa hoch und taumelte in die Richtung des Apparats. Wer zum Geier rief um diese Zeit an?
„Ja?“ Ihre Stimme klang kratzig.
„Joana! Wie gut, dass du daheim bist.“
Am anderen Ende der Leitung war eindeutig Tante Agnes und sie schien höchst aufgeregt. Au Backe.
„Hör zu, Liebes, bleib wo du bist. Es ist etwas geschehen, ich muss dringend persönlich mit dir sprechen.“
Joana wurde flau, ein Kloß drückte ihr im Magen. „Ist was mit Mama?“
„Nein, keine Sorge. Es ist nichts Schlimmes. Es ist nur … Ich mache mich sofort auf den Weg und erklär dir alles, wenn ich da bin.“
Joana nahm den Hörer vom Ohr und betrachtete ihn einen Moment, als könnte er ihr eine Erklärung auf Tante Agnes’ Verhalten geben. Schließlich warf sie einen Blick zu Nicholas. Er sah aus, als hätte er auch geschlafen. Müde und auf entzückende Art zerknautscht. Aber leider auch schrecklich genervt.
Sie drückte den Hörer wieder gegen ihre gerötete Wange. „Tante Agnes? Es ist vier Uhr früh und ich …“
„Morgenstund hat Gold im Mund“, stellte Agnes barsch fest. „Ich bringe Brötchen mit.“ Es klang wie eine Warnung. Dann legte sie auf.
Kopfschüttelnd schlurfte Joana zurück zum Sofa, ließ sich darauf niederfallen und schloss die Augen. „Meine Tante kommt her“, stöhnte sie in die Kissen.
Nicholas seufzte. „Na toll. Soll ich sie vertreiben?“
„Nein. Vielleicht ist es besser, wenn du …“ Sie schluckte. Ihr Hals war total trocken. „Tut mir leid. Ich habe keine Ahnung, warum sie mich so dringend sprechen will. Sie war schon immer etwas schräg, aber das hier übertrifft alles. Es muss etwas passiert sein.“ Sie öffnete ein Auge und ihr Blick fiel auf die halbleere Whiskyflasche. „Ich weiß nicht einmal mehr, was hier passiert ist. Ich hab dir doch gesagt, dass ich nie trinke. Kein Wunder, dass das Zeug mich umgehauen hat. Was ist da drin, Benzin?“ Sie rieb sich die pochende Stirn, hätte am liebsten dagegen geschlagen. „Das ist alles deine Schuld. Oh mein Gott, hab ich Kopfschmerzen. Kann man sich das Hirn verstauchen?“
Er lächelte nur, fuhr ihr übers Haar und sie hasste ihn. Für den Whisky und dafür, dass er sich das Hemd wieder zuknöpfte und ganz eindeutige Anstalten machte, zu gehen. Andererseits hatte sie ihn schließlich reichlich ungalant dazu aufgefordert. Die Vorstellung, dass er Tante Agnes über den Weg laufen würde, behagte ihr nicht.
„Schade. Die Nacht entsprach nicht so recht meinen Vorstellungen.“
Ach, dachte sie sarkastisch. Dachtest du, meinen?
„Aber fürs nächste Mal bin ich klüger und werde dich keinen Tropfen mehr trinken lassen.“
„Nächstes Mal?“ Joana stand schwerfällig wieder auf und räumte die Gläser in die Spüle, um die Spuren seiner Anwesenheit zu verwischen.
Ihre Tante musste nicht erfahren, dass sie sich wieder mit jemandem traf. Nicht, solange es eine derart offene Beziehung war, was sich mit diesem Exemplar von Mann wohl kaum je ändern würde. Ob sie selbst das bedauerte oder guthieß, war ihr nicht ganz klar.
In einer fließenden Bewegung trat er plötzlich hinter sie. Sie schrak zusammen. Langsam strich er ihre Haare zurück und berührte ihre zitternde Schulter mit den Lippen. „Ja, nächstes Mal“, sagte er leise. „Bis morgen, Jo. Denn dann zeige ich dir, dass für einen wahren Rausch kein Tropfen Alkohol vonnöten ist.“
Es kostete sie einige Anstrengung, aufrecht stehen zu bleiben, sie musste sich auf der Arbeitsplatte
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