Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
stupste sie an. Das war doch jetzt nicht ihr Ernst. „Joana?“ Sie gab ein leises Brummen von sich, mehr nicht.
Toll gelaufen. Fantastisch!
Die Frau vertrug wirklich keinen Alkohol.
Nach kurzem Zögern legte er seinen linken Arm um ihre Schultern. Schließlich ließ er den Kopf wieder an die Rückenlehne sinken und gönnte sich die Illusion, einfach liegen bleiben zu können. Für eine Weile in einer Realität zu verharren, in der man seine Probleme für Mythen hielt und darüber lachte. Ganz der Ruhe hingegeben, die Joana vorgaukelte. Sollte sich seine Welt da draußen doch ein paar Stunden ohne ihn weiterdrehen.
Fauliger Gestank einer längst verlorenen Schlacht lag in der Luft. Die kaum mehr zu erkennenden Überreste menschlicher Körper krochen über den Boden, Gedärm und Körperteile hinter sich herziehend. Langsam versanken sie im Untergrund. Ihr Blut, sowie ihr zerfallendes Fleisch vermischten sich mit der Erde zu noch mehr zähem Morast, der nach weiteren Leben lechzte.
Eine gesichtslose Gestalt stand knietief in diesem Moor aus Leichen. Die Arme ausgebreitet und die Handflächen gen Himmel gedreht, schien sie um reinigenden Regen zu beten. Ein Halo aus Schwärze umgab sie.
Das Wesen senkte wie resignierend den Kopf. Plötzlich zerriss das Geräusch von splitterndem Glas die Stille. Die Gestalt schrie auf. Wand sich vor Schmerzen. Würgte und erbrach Blut.
Es war der Todeskampf gegen einen alles vernichtenden Parasiten, der in ihr wütete. Diese Schlacht war verloren, ehe sie begonnen hatte.
Der Körper wurde aus seinem Inneren heraus zerfetzt. Wunden rissen auf, klafften auseinander und spieen Blut. Blut, überall Blut. Auch die Tränen der Gestalt waren aus Blut.
Alles versank in einem roten Meer aus Tod.
Agnes erwachte von einem durchdringenden Schrei aus ihrem eigenen Mund. Der Traum hallte in ihrem Körper nach, sie spürte noch den Schmerz in der Brust, roch den Verfall und schmeckte die Tränen auf ihren Lippen. Schwer atmend tastete sie nach dem Lichtschalter. Und schrie prompt erneut auf.
Bernsteinsplitter lagen um sie herum verteilt. Einer hatte sich tief in die Haut ihres Dekolletés gegraben. Blut rann ihre Brust herab und versickerte in ihrem Nachthemd.
„Oh Gott. Gott, was …“
Sie presste die Lider und Lippen zusammen, mahnte sich zur Ruhe. Panik half jetzt nicht weiter. Schließlich zog sie mit zusammengebissenen Zähnen den Splitter aus ihrer Haut und stürzte sogleich zum Telefon.
„Was habt ihr getan?“, schrie sie in den Hörer, kaum dass sich die müde Stimme ihres Mentors meldete. „Wir hatten eine Abmachung, Theodor! Welcher gottverdammte Verräter hat mich hintergangen?“
„Halte dich im Zaum, Agnes!“, tadelte ihr Mentor. „Was auch immer geschehen ist, so lasse ich nicht mit mir reden. Worum geht es überhaupt?“
„Worum es geht? Das fragst du noch?“ Es war das erste Mal, dass Agnes jeden Respekt Theodor gegenüber fallen ließ. „Es geht um meine Nichte. Das Ritual wurde durchgeführt.“
Langes Schweigen spannte ihre Nerven fast bis zum Zerreißen. Endlich räusperte sich Theodor und sagte: „Davon weiß ich nichts. Bist du völlig sicher?“
„Das Medaillon mit ihrem Blutstropfen ist mir soeben buchstäblich um die Ohren geflogen“, empörte sich Agnes. Den Traum ließ sie unerwähnt. Sie wollte ihn erst in Ruhe deuten, ehe sie damit für weitere Spannungen sorgte. Vielleicht war er ganz harmlos. „Gottverdammt, ihre Mutter wird mich umbringen. Ich habe ihr geschworen, all das von Joana fernzuhalten. Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, jemanden wie Mary zum Feind zu haben? Ich bin so gut wie tot, Theodor!“
Er seufzte laut. „So schlimm wird es nicht werden, du hast dir doch nichts vorzuwerfen.“ Agnes entging der fragende Unterton in seiner Stimme nicht, auch wenn sie sicher war, dass sie ihn nicht hatte wahrnehmen sollen. „Ich werde das prüfen. Ich melde mich gleich wieder bei dir, unternimm nichts.“
Es klickte in der Leitung und für Agnes begannen die schlimmsten Minuten ihres Lebens. Das ungewisse Warten.
14
I
n Joanas Ohren surrte und klingelte es. Ihr Hirn schmerzte, als würde es pulsieren und gleich die Schädelknochen sprengen. Mit einem leisen Stöhnen hob sie den Kopf ein paar Zentimeter an und ließ ihn sofort wieder fallen. Ihre Wange sank zurück auf etwas wunderbar Warmes, Festes, während ihr Kinn an eine kühle Kante stieß. Sie wurde leicht gerüttelt, aus weiter Ferne durchdrang eine Stimme das Surren.
Weitere Kostenlose Bücher