Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
ausbrechen?“
„Nein. Der Bann bewirkt eine Lähmung, aus der sie allein nicht heraus kommen. Aber andere Dämonen können ihre Anwesenheit spüren und sie befreien. Allerdings tun sie das nur, wenn sie sich einen Nutzen davon versprechen. Für diese erbärmlichen Geschöpfe in unserem Keller würde kein Dämon seine Haut riskieren. Sie taugen nichts. Doch bei einem starken Artgenossen sähe das anders aus. Daher werden mächtigere Dämonen gut versteckt.“
Joana legte ihre zweite Brötchenhälfte zur Seite und nippte am Kaffee. Das war alles etwas zu viel, um mit gesundem Appetit zu essen. „Und wo?“
„Stell dir vor, sie würden Radiowellen aussenden“, begann Tina, nahm einen Bissen und sprach ungerührt mit vollem Mund weiter. „Dadurch können andere Dämonen sie spüren und erfahren, wo sich der Artgenosse befindet. Aber gewisse Mineralien und Gesteine scheinen ihre Frequenz irgendwie zu stören. Es gibt einige solcher Stoffe, Diamant zum Beispiel. Allerdings wäre es ein kostspieliges Unterfangen, alleDämonen in Diamant einzulassen.“ Sie zwinkerte. „So viel sind sie uns dann doch nicht wert. Eine ausreichend dicke Schicht aus Calcit oder Aragonit reicht auch schon aus und ist einfacher zu finden.“
„Kalkgestein, wie in vielen Höhlen“, überlegte Joana laut und unterdrückte ein plötzliches Keuchen, als ihr eine böse Erkenntnis kam. „In Tropfsteinhöhlen! In einer solchen ist mein Vater umgekommen.“
Tina lächelte mitfühlend und strich ihr in einer kurzen Bewegung über den Oberarm. „Ja. Tut mir sehr leid. Leider weiß niemand so recht, was damals passiert ist und warum er in diese Höhle gegangen ist. Andere Clerica hatten Jahrzehnte zuvor einen Dämon dort versteckt.“
Joana schüttelte ungläubig den Kopf. „Ihr schmeißt die einfach in irgendwelche Höhlen? Egal, ob jemand drüber stolpert? Sehr effektiv!“
„Ach, spar dir den Sarkasmus. Wir haben schon versucht, Gruben auszuheben und mit dem entsprechenden Gestein abzudecken. Aber solche Gräber sind für die, die suchen leicht zu finden. Das ist zu auffällig. Daher nehmen wir bestehende Höhlen, aber wir suchen Kammern, die schwer zugänglich sind und schütten diese auch zu. Leider ist nie auszuschließen, dass sie dennoch wieder geöffnet werden. In jüngster Zeit nutzen wir auch oft Baugruben. Aber früher war dies nicht so leicht machbar, wie mit den heutigen Möglichkeiten, daher sind viele Dämonen noch nicht optimal versteckt. Wir suchen nach ihnen, um sie sicherer zu verbergen, aber …“
„Ihr wisst selbst nicht, wo die Zunft sie in der Vergangenheit versteckt hat“, vollendete Joana den Satz und schob gedankenverloren einen kleinen Salzstreuer zwischen ihren Händen hin und her. „Aufzeichnungen können in die falschen Hände gelangen und sind vermutlich darum zu gefährlich.“
„Richtig, sie könnten gestohlen werden.“ Tina lächelte und es war erstmals ein ehrliches Lächeln. Joana zuckte mit den Mundwinkeln, das musste als Reaktion reichen.
„Dann glaubst du es also nun doch?“, fragte die Clerica.
Joana schüttelte langsam den Kopf. „Nicht wirklich. Es zu glauben wäre zuviel gesagt. Aber ich akzeptiere es inzwischen.“
Tina nickte verständnisvoll. „Guter Anfang. Lieber Himmel!“, rief sie plötzlich. „Jetzt hätten wir uns fast verplappert. Du musst runter gehen, Theodor hasst es, zu warten. Los, beeil dich. Hopp, hopp!“
Sie zog Joana von ihrem Stuhl und schob sie aus der Küche in Richtung Treppe, die in den Keller führte. „Einfach geradeaus gehen. Mach’s gut und alles Liebe, man sieht sich sicher noch mal.“
Theodor erwartete sie tatsächlich bereits im Kellerflur. Seine kritisch hochgezogene graue Augenbraue steigerte Joanas Sympathie für ihn nicht wirklich. Schweigend schloss er eine Tür auf, hinter der eine kleine, bis zum Bersten vollgestopfte Bibliothek zum Vorschein kam. An allen vier Wänden reichten Bücherregale bis unter die Decke, die meisten waren gut gefüllt. In wenigen standen nur kleine Gegenstände, Kerzenleuchter, Gefäße, die Joana suspekt waren, und Nippes. Lediglich für die Tür, die von zwei kitschigen Porzellanschwänen in Lebensgröße flankiert wurde, hatte man eine Nische zwischen den Regalen gelassen. Ein altertümlicher Schreibtisch mit dazu passendem, gepolstertem Lehnstuhl stand mitten im Raum. Das Notebook auf dem Tisch wirkte in diesem Raum deplatziert.
„Du musst rasch lernen“, erklärte Theodor mit ernster Stimme, „damit
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