Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
Clerica fanden Wege, diese Hexerei zu umgehen. Wie du weißt, sind unsere Körper unempfindlicher gegen ihre Macht, als die normaler Menschen. Und so wurde dieses Buch aus der Haut verstorbener Clerica gebunden und mit deren Blut beschrieben.“
Joana starrte das Buch an. Ein Geräusch tiefster Abscheu entrang sich ihrem Hals. „Das ist ja widerlich. Ihr hättet mich vorwarnen müssen. Was habt ihr hier für obskure Sachen rumliegen? Muss ich irgendwo noch tote Katzen erwarten?“
„Bücher wie dieses waren zu früheren Zeiten vollkommen selbstverständlich. Diese Reliquie ist von unschätzbarem Wert, also sprich nicht derart respektlos. Aber nun genug der Theorie.“ Theodor sah sie streng an und ignorierte, dass sie ihn mit ihren Blicken zu erdolchen versuchte. „Beginnen wir mit den praktischen Übungen. Du wirst dich nun an deinem ersten Bann versuchen. Bist du bereit?“
Joana hob die Schultern. Hauptsache, sie würde den ganzen Kram schnell hinter sich gebracht haben. Ihr Magen randalierte und sie wollte diese staubtrockene Bücherei voller Leichenteile schnell verlassen.
„Der erste Bann bewirkt eine Art Lähmungszustand“, erklärte Theodor. „Er hält einen mächtigeren Dämon nur in einer Starre fest, jedoch ist er sehr schnell und einfach zu legen. Wenn du angegriffen wirst und für einen anspruchsvolleren Bann keine Zeit bleibt, kann dieser dir das Leben retten.“ Er nahm eine bequemeHaltung ein, hob beide Hände, die Handflächen nach vorne gestreckt und vollführte dann mit der linken einen Halbkreis um die gespreizten Finger der rechten. „Diese Glyphe nennen wir Cistó.“
„Man braucht beide Hände dazu?“ Joana stemmte die Fäuste in die Hüften. „Ich hätte gedacht, dass wir mit magischen Schwertern oder sowas in die Schlacht ziehen.“
Theodor schmunzelte. „Solltest du ein magisches Schwert zur Hand haben, dann hau es dem Dämon nur kräftig um die Ohren. Aber ich sage es dir gleich, solche Waffen sind äußerst selten. Daher lerne lieber die Glyphen zu nutzen. Du musst sie genau so in die Luft zeichnen, wie ich es tue und all deine Konzentration bündeln.“
„Auf das Wort?“
„Nein. Auf deinen Drang, den Dämon zu lähmen. Auf den Befehl. Worte sind unnötig, der Bann funktioniert in jeder Sprache der Welt. Sprich Worte, wenn es dir hilft, aber entscheidend ist nur der Wille, der dahinter steht. Versuche es.“
Joana imitierte die Geste und empfand das Ganze allenfalls als lächerlich, nicht aber schwierig. Ein Blick in das überaus geringschätzende Gesicht Theodors ließ sie jedoch sofort erkennen, dass viel Arbeit vor ihr lag.
Gefühlte Stunden vergingen, bis Theodor das ergebnislose Training augenrollend abbrach. „Geh und mach deine Pause“, sagte er und seufzte. „In einer Stunde bist du wieder hier. Wir haben viel zu tun. Ich sage es ungern, Joana, aber eine so unbegabte Schülerin hatte ich noch nie.“
Na vielen Dank, Merlin für Arme.
Tante Agnes erwartete Joana im Salon am gedeckten Tisch. Die halbleeren Schüsseln verrieten, dass die anderen bereits gegessen hatten. Joana war erleichtert, nicht inmitten dieser Fremden sitzen zu müssen. Sie tat sich Kartoffelpüree und Fleisch auf und betrachtete während des Essens die Bilder an den Wänden.
„Viele Engelsgemälde“, stellte sie fest. „Hängen die Clerica irgendwie mit der Kirche zusammen?“
Agnes wiegte den Kopf hin und her. „Die katholische Kirche war zeitweise die Auftraggeberin der Clerica in Europa. Einst bezahlte sie uns für unsere Dienste. Die Clerica setzten im Gegenzug dafür christliche Symbole ein, sprachen bei der Dämonenbannung ein paar Gebete oder machten anderweitig Werbung und stärkten damit die Macht der Kirche und den Glauben der Menschen.“ Sie zwinkerte verschlagen. „Allerdings geriet das Ganze aus den Ufern und schließlich distanzierten sich die Clerica von den Katholiken und gingen wieder ihren eigenen Weg.“
„Was lief schief?“
„Kannst du dir das nicht vorstellen?“ Agnes zog die Brauen bis über den Rand ihrer Brille. „Wenn damals ein Dämon exorziert oder eine Hexe vernichtet wurde, was geschah wohl mit all deren Hab und Gut?“
Joana begriff. „Alles ging in den Besitz der Kirche über.“ Sie lachte humorlos. „Und vermutlich wurde es übertrieben, nicht wahr?“
„Kluges Kind. So war es. Manch ein gottverdammter Pastor oder Abt wurde zu gierig. Vielen Unschuldigen warf man vor, von einem Dämon besessen zu sein, allein um an ihr Land und ihre
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