Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
ihren Schulterblättern frei lagen. Joana erzitterte, als sein Mund sich ihrer Haut näherte. Sie richtete sich leicht auf und griff nach ihrer Bettdecke.
„Vielleicht sollte ich das besser mit Octisept einspüh…“
„Nein“, raunte er und drückte sie sanft nieder. „Entspann dich. Ich tu dir nicht weh.“
Sein Atem streichelte ihre Schulter, einen Moment darauf seine Lippen und die Spitzen seiner Haare. Er fuhr die Striemen mit der Zungenspitze nach. Joana wollte sich dem entziehen, doch die kühle Wärme dieses seltsamen, aber so innigen Kusses fühlte sich zu gut an. Es brannte im ersten Moment, doch sogleich setzte Linderung ein.
Ein tiefes, leises Vibrieren erklang aus seiner Kehle. „Verzeih mir, Jo. Ich werde dich nicht anrühren. Aber du solltest wissen, dass ich so gern mehr von dir hätte.“
Seine gehauchten Worte, sowie das Knurren hatten etwas Bedrohliches, doch gleichzeitig wirkten sie beruhigend. Einschläfernd.
Sie seufzte erleichtert, als er seinen Atem gegen ihre feuchte Haut blies. Er streichelte ihr Haar in monotonen Bewegungen, die sie paralysierten. Was auch immer er tat, aber wach zu liegen und darüber zu grübeln war nicht mehr möglich. Jeder Gedanke war schwer wie Blei, so ließ sie alle fallen. Wohltuende Entspannung nahm von ihr Besitz.
„Nicholas?“, murmelte sie, schon mehr im Schlaf gefangen, als in der Realität. „Woher kommst du?“
Er lachte leise. „Warum ich auf der Erde bin und nicht in der Hölle, wo ich hingehöre?“
„Hmhm.“
„Weil ich gerufen wurde. Beschworen.“
„Von wem? Warum?“
Er strich ihre Locken zur Seite und küsste ihren Nacken, worauf sie wohlig seufzte. „Wenn du auch noch etwas über das Wie erfahren willst, dann wäre ich bereit, dir heute Nacht zu zeigen, wie ich in diese Welt kam. Sei dir aber gewiss, dass es keine schönen Bilder sind. Möchtest du sie dennoch sehen?“
Joana nickte.
„Dann entführe ich dich heute Nacht nach Portugal, ins Jahr 1734“, wisperte er.
Seine Lippen berührten ihre Schläfe und sie spürte ein seltsames Prickeln im Kopf. Wie hauchfeine Nadelstiche, aber nicht unangenehm.
„Schlaf jetzt, Jo. Und keine Angst, dir wird nichts geschehen. Ich hocke mich unter dein Bett und bleibe wach.“
Sie versuchte sich an einem Lächeln, damit er begriff, dass sie längst keine Angst mehr hatte, und gab sich dem Schlaf hin. Ebenso dem Traum, den er ihr schenkte.
21
J
oana flog.
Vom Wind getragen ließ sie sich einfach treiben. Schwerelos und körperlos, ohne die Luft um sich herum zu spüren, so als wäre sie in Wirklichkeit gar nicht da. Sie war ein Schatten in einem Traum. Doch dieser Traum war viel mehr als das, er war real. Eine Erinnerung, aber nicht ihre eigene.
Sie konnte nicht einschätzen, ob sie sie selbst war, jemand anderes oder gar etwas anderes. Alles was sie wusste, war, dass sie existierte.
Unter ihr lag ein Wald aus petrolfarbenen Zedern und blassen Pinien, wie ein duftender Teppich aus grünen Flicken. Sie trieb darüber hinweg und gelangte an eine Steilküste, die viele Meter in die Tiefe führte. Scharfkantige Klippen ragten aus dem Meer und brachen die Wellen. Die Brandung schlug gewaltig gegen die Felsen, ihre Kraft ließ das Ufer zittern. In den oberen, trockenen Gefilden der Klippe nisteten Seevögel, die sich von dem tosenden Lärm nicht stören ließen. Am Horizont versank die Sonne rotgolden im Meer und malte irreale Farbspiele auf den Himmel, die das Wasser verwischt widerspiegelte. Irgendwo in diesem Meer aus Farben erkannte Joana einen Schwarm springender Delfine, sowie die hellen Segel eines Dreimasters, vermutlich eine Karavelle.
Auf einem der höchstgelegenen Küstenabschnitte sah sie ein Feuer und die Bewegungen einer Person. Unweigerlich wurde sie nähergezogen. Es war nicht länger der Wind, dem sie sich gerne ausgeliefert hatte, der sie zog. Es war eine Kraft, gegen die sie sich auflehnen wollte, ohne dass es ihr gelang.
Sie näherte sich den flackernden Flammen, bis sie das Knistern trotz der tosenden Brandung hören konnte. Eine schwarzhaarige Frau mittleren Alters tanzte mit geschlossenen Augen um das Feuer. Der vergilbte Unterrock ihres Leinenkleides schleifte über den Boden und wirbelte gemeinsam mit ihren flinken, nackten Füßen Staub auf. Sie sang leise Worte in einer Sprache, die Joana nie gehört hatte. Romani. Woher sie das wusste, war ihr nicht klar. Vielleicht ahnte sie es, weil im Hintergrund ein Planwagen stand, der an das traditionelle fahrende
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