Nybbas Träume - Benkau, J: Nybbas Träume
auf ihren Rücken und zog sie näher. Ganz langsam, zögernd, als könne er nicht entscheiden, ob er sie lieber mit den Augen oder mit seinem Körper berühren wollte. Joana nahm ihm die Entscheidung ab und schmiegte sich an seine Brust. Auch er war nass geworden und stand in regenfeuchter Hose vor ihr, doch seine Haut war bereits wieder warm. Sie seufzte behaglich. Stehend fiel ihr auf, wie perfekt sein Körper zu ihrem passte. Seine Brust war exakt so breit, dass sie sich bequem mit den Schultern anlehnen und von seinen muskulösen Armen einrahmen lassen konnte. Wenn sie ihm ganz nah gegenüberstand, lagen ihre Lippen genau auf der Höhe seiner Schlüsselbeine und der dünnhäutigen Kuhle, die dazwischenlag. Eine der Stellen, die sein Inneres hörbar schnurren ließen, wenn sie mit der Zunge die Haut streichelte.
Hier, hinter den geschlossenen Türen ihrer Wohnung, war es, als könne ihnen niemand etwas anhaben. Die Anweisung dieses Dämonenchefs, die zuvor noch wie ein Damoklesschwert über ihnen geschwebt war, hatten sie draußen ausgesperrt. Sie war da, sie kratzte an der Tür, aber sie ließen sie einfach nicht herein.
„Ich fühl mich gerade auf völlig unangebrachte Art himmlisch“, flüsterte sie an seine Schulter, gleichzeitig mit den Fingerspitzen den Bund seiner Hose nachfahrend. „Weißt du das?“
Er gluckste leicht. „Zufälligerweise weiß ich das sehr genau. Du solltest lernen, deine Gefühle vor mir zu verbergen, wenn du nicht willst, dass ich in dir lese, wie in einem offenen Buch.“
„Lies in mir. Lies mir vor, was ich nicht sehe.“ Sodann stutzte sie. „Mir fällt da gerade etwas ein, was deinen … Appetit betrifft. Kannst du einem Menschen eigentlich auch einfach nur negative Gefühle nehmen? Angst zum Beispiel, oder Besorgnis?“
Sie verstummte, als sie seine Veränderung wahrnahm. Es war kein Anspannen seiner Muskeln, es war kein Versteifen seines Körpers. Aber irgendetwas an Nicholas zuckte zusammen und all die unbeschwerte Lust schien vergangen. Im nächsten Moment war der Eindruck wieder verschwunden, als hätte er die Gedanken weggewischt wie Regentropfen.
„Was ist?“, fragte Joana dennoch. „Ich hab was Falsches gesagt, oder?“
Er lächelte warm, aber eine Spur Bitterkeit schimmerte in seinen Augen mit. „Ich bin kein Philanthrop, Jo, und ich sollte nicht versuchen, einer zu sein.“
Sie legte die Hände an sein Gesicht. „Es ist etwas passiert, richtig? Erzähl es mir.“
Sein Lächeln wurde ehrlich. „Wie kannst du mich so durchschauen?“
„Ich habe den besten Lehrmeister auf diesem Gebiet und ich lerne schnell. Also, erzähl es mir. Jetzt. Sonst werde ich dich zwingen. Ich kann das, glaub mir.“ Sie grinste, aber er erwiderte es nicht länger.
„Du wirst mich verurteilen“, sagte er. Er befürchtete es nicht, er schien es zu wissen.
Joana unterdrückte ein Schaudern. Was war so schlimm, dass er glaubte, sie damit noch schockieren zu können? „Finde es heraus.“
Er ließ sich ungeachtet seiner nassen Hose auf dem Sofa nieder und Joana rollte sich neben ihm zusammen und legte ihren Kopf in seinen Schoß.
Tief atmete er ein und ließ die Luft langsam durch halbgeöffnete Lippen wieder ausströmen. „Als ich diesen Körper hier an mich nahm, war er noch sehr jung. Gerade mal achtzehn. Ich fand ihn in einem Bostoner Ghetto und ich wollte ihn, denn er war leicht zu bekommen. Unter einer dicken Schicht aus Dreck war er schön. Ich mochte seine Augen.“ Er zwinkerte. „Der Junge hatte trotz seiner wenigen Jahre ein Leben hinter sich, das du deinem schlimmsten Feind nicht wünschen würdest. Er war mit Drogen zugepumpt, als ich ihn genommen habe, hätte es ohnehin nicht mehr lange gemacht. Aber da war noch dieses Mädchen. Seine Zwillingsschwester.“
„Laureen?“, vermutete Joana.
Er nickte. „Ich weiß nicht, woran es lag, aber ich fühlte immer noch einen Rest seiner Verbundenheit zu ihr. Ich hatte nichts mit ihr, ich habe sie nie angerührt. Ich habe sie nur aus der Familie fortgebracht, in der sie draufgegangen wäre. Und ich habe ihr irgendwann die Wahrheit über mich gesagt.“
„Du kannst nicht gut lügen, oder?“
„Oh doch. Lüge und Illusion machen mein Leben aus. Ich bin der Gaukler.“ Er demonstrierte seine Worte anhand eines kurzen Lächelns, so falsch und verzaubernd wie das einer Karnevalsmaske. Ebenso schnell legte er es wieder ab. „Aber wenn mir jemand etwas bedeutet, dann will ich es nicht mehr. Nun, sie war begeistert
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