O diese Rasselbande
hält er die Rasselbande tatsächlich eine ganze Stunde lang in Atem, denn - wie er zu sagen pflegt -, wer singt, der sündigt nicht. Dafür ist der Chor, den Herr Weiland aus den besten Sängern der Schule zusammengestellt hat, auch stadtbekannt und schon oft bei Feierlichkeiten ruhmvoll hervorgetreten.
Als Silke vorsingt, verklärt sich sein Gesicht sichtbar.
Und Fips denkt: „Oha!“ Und das kann eine lange Rede mit einer Menge geschraubter Sätze umfassen. Fips faßt sich immer da kurz, wo er anerkennen muß.
Als die Schule endlich aus ist, geht Silke wie im Traum zwischen all den schubsenden, lachenden und rufenden Jungen jeden Alters durch das Schultor. Sie ist müde von all den Erlebnissen und freut sich auf ihr stilles Zimmer. Still sitzt sie im Zug am Fenster und schaut hinaus, ohne viel denken zu können.
Die letzte Stunde mit Latein hatte zu diesem Vormittag noch dazu gehört. Dr. Wolf heißt nicht nur Wolf, er hat auch etwas von einem Wolf an sich, findet Silke. Immer belauerte er die Klasse in scharfer Wachsamkeit, und es gab nichts, was ihm entgangen wäre.
Er hatte sich sofort an Silke gewandt.
„Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein Mädchen“, sagte er und blieb auf dem Katheder stehen, die Bücher unter dem Arm.
„Mein Gott, Kind, was willst du denn hier? Willst du vielleicht später deine Kartoffeln auf lateinisch schälen? Der Unfug, Mädchen auf Gymnasien zu schicken, scheint immer mehr überhand zu nehmen. Na, mir soll’s recht sein, nur halte uns im Unterricht nicht auf.“
Das war wenig ermutigend.
Zehn Minuten später war dann das Unglück geschehen. Silke hatte eine Frage falsch beantwortet, und Dr. Wolf hatte mit einem Scherz berichtigt. Es war ganz harmlos gewesen, aber da lachte die Klasse plötzlich los. Erst nur einige, dann die ganze Klasse. Es brach ein wahrer Tumult aus. Einige trommelten vor Vergnügen auf die Bänke, und andere begannen mit den Füßen zu trampeln. Dr. Wolf stand einen Augenblick starr wegen dieser übertriebenen Lustigkeit, dann forderte er mit scharfer Stimme Ruhe.
Als jedoch noch immer gelacht wurde, gab er sofort eine lange Strafarbeit, und die war nicht zu knapp bemessen. Weder Dr. Wolf noch Silke begriffen diese plötzliche Albernheit der Rasselbande.
Sie konnten nicht wissen, daß die Jungen es ja nur auf die Strafarbeit angelegt hatten, um die Neue gleich am ersten Tag richtig einzudecken.
Auch beim Mittagessen ist Silke sehr schweigsam und in sich gekehrt, während der Vater sie heimlich beobachtet. Endlich, als Hühnchen die Schüssel mit den eingemachten Pflaumen auf den Tisch gesetzt hat, fragt der Vater lächelnd: „Nun, Silke, du bist ja so in dich gekehrt? Haben die Jungen dir deine Sprache geraubt?“
„Ja, Vati, es war eigentlich schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte. Sie haben sich gleich geschlossen gegen mich gestellt und verlangt, daß ich die Schule wieder verlasse. Sie dulden keine Mädchen unter sich. Tüchtig ausgelacht haben sie mich auch wegen ,sehr gut' in Betragen, und dann mußte ich gleich vorn auf der ersten Bank sitzen, die dicht vor dem Katheder steht. Sie nennen sie die ,Augenzeugenbank“, weil die Lehrer einen da so dicht vor der Nase haben. Bisher ist das die Strafbank gewesen, glaube ich. Aber das ist alles noch nicht so schlimm. Schlimm sind die Strafarbeiten, die es bei fast jedem Lehrer regnet. Warum sie sich nur so viel Arbeit aufbürden? Wie ich das alles schaffen soll, weiß ich nicht.“ Herr Braun streichelt ihr besorgt die Hand.
„Wenn es nicht geht, Kindchen, dann werde ich dich doch lieber im Lyzeum anmelden, und der weite Weg muß in Kauf genommen werden.“ Aber da wehrt sich Silke heftig.
„Nein, Vati, bitte noch nicht. Ich habe es ja noch gar nicht versucht, und innerhalb der nächsten vier Wochen kommt das auch gar nicht in Frage, sonst denken die Jungen, ich habe vor ihnen gekniffen. Laß es mich versuchen, vielleicht kriege ich bald heraus, warum sie alle so sind.“
„Na schön“, gibt der Vater nach, „dann wollen wir uns das vier Wochen mit ansehen.“
Silke nickt lächelnd und legt ihr Mundtuch zusammen. Und dann sagt sie etwas, was sie noch niemals gesagt hat:
„Ich lege mich eine Stunde hin und schlafe mal eine Runde.“ Und daran kann Herr Braun ermessen, wie sehr sie dieser erste Tag unter der Rasselbande erregt hat. Zärtlich blickt er ihr nach, und ihm fallen die Worte ein, die der Hausarzt auf des Großvaters Gut einmal zu ihm gesagt hat, als sie mit so
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