O diese Rasselbande
Shatterhand von den Komantschen eingekesselt ist. Dabei ist sein roter Bruder Winnetou viel zu weit von ihm entfernt, um ihm zu Hilfe kommen zu können, außerdem weiß er es gar nicht. Es ist zum Verzweifeln und es ist ganz unmöglich, daß Bodo jetzt mit Lesen aufhören kann. Zum Teufel mit der Geschichtsstunde!
Silke versucht den Ausführungen von Dr. Kraus zu folgen. Sie liebt Geschichte sehr, und es ist interessant, was er erzählt. Nur daß er mit eigentümlich monotoner Stimme vorträgt, läßt die Aufmerksamkeit etwas erschlaffen. Außerdem ist es sehr anstrengend, sich zu konzentrieren, denn es ist immer ein leises Gemurmel in der Klasse. Die Schüler sitzen nicht gerade, wie bei Tippel, sondern jeder sitzt, wie er gerade will, und macht, was er will. Viele schreiben unter der Bank die englische Übersetzung weiter. Manche sprechen mit gedämpfter Stimme, und die nichts Besseres wissen, verstecken ihren Kopf hinter dem Vordermann und murmeln leise „rhabarberrhabarberrhabarber“. Wenn man aufpassen will, macht dieses ewige Gemurmel ganz müde.
Silke ertappt sich dabei, daß sie nicht mehr erfaßt, was Dr. Kraus sagt; sie hat den Faden verloren.
Wenn das Gemurmel zu laut wird, unterbricht sich Dr. Kraus und ruft: „Nun bin ich’s aber baldmal leid!“ Dann spricht er weiter, wobei er den Kopf immer etwas auf die Seite legt. „Der Arme“, denkt Silke, „er ist ja vollkommen ermüdet“, und zum erstenmal ist sie wütend über so viel Rücksichtslosigkeit. Bei Tippel war sie nur aufgeregt; aber leid tat er ihr nicht. Dadurch, daß sie bisher immer nur unter Erwachsenen gelebt hat, ist sie ihren Jahren schon voraus und sieht weiter, als ein Unfug reicht. Aber auch diese Stunde geht zu Ende und sogar ohne Strafarbeiten. Silke ist ebenso erleichtert wie Dr. Kraus, als er die Klasse verläßt. An dieser Klasse hat er nicht das geringste Interesse, und er ist zu nervös, um sich mit ihr in einen Kampf einzülassen. Nach seiner Ansicht ist der Klassenleiter dazu da, die Klasse zu erziehen, und wo eine so bärenstarke Natur wie Studienrat Oertel nicht durchdringt, sieht er keine Veranlassung, sich auch noch aufzureiben.
---
„Na“, sagt Studienrat Oertel in der folgenden Deutschstunde zu Silke, „du lebst ja noch. Da bin ich beruhigt, dachte schon, die Rasselbande hätte Gehacktes aus dir gemacht.“
„Jungfrauenfleisch in Dosen“, läßt sich Fips hören.
Vaddi grinst gnädig,
„Fips, du solltest deine Geistesblitze auf deine Grammatik beschränken. Vielleicht weißt du von Partizipien ebensoviel wie von Jungfrauenfleisch, he?“
Fips wußte wohl was von Prinzipien, davon hat er eine Menge, aber bei den Partizipien hatte er gerade gefehlt, darum schweigt er bescheiden.
„Wende dich nur vertrauensvoll an mich, Silke“, fährt Studienrat Oertel fort, „wenn du mit der Bande nicht fertig wirst. Ich werde schon Fasson in sie bringen.“
„Danke, Herr Studienrat“, sagte Silke, „aber so schlimm sind sie gar nicht.“
„Das ist nur am ersten Tag, warte nur, wenn du erst länger hier bist.“
Silke findet, daß es auch schon für den ersten Tag schlimm genug ist.
Dies ist die erste Stunde an diesem Vormittag, in der die Jungen mitgehen. Vaddi weiß sie zu packen. Seine Art zu erzählen ist fesselnd, seine breiten Schultern allein flößen Achtung ein, und seine scharfen, hellen Augen wandern umher. Ab und zu bleibt er vor Silke stehen und betrachtet sie wohlgefällig.
Silke mag ihn sofort gut leiden.
Noch kennt sie die Macht seiner Stimme nicht, denn wenn er tobt, kann man es bis in das untere Stockwerk hören. Die Klasse beträgt sich mustergültig. Vaddi hat genug zu toben, wenn die anderen Lehrer sich bei ihm beklagen.
In der darauffolgenden Musikstunde erlebt Silke eine Überraschung. Wenn sie angenommen hatte, daß in dieser Stunde der Unfug der Jungen seinen Höhepunkt erreichen wird, war das ein Irrtum. Herr Weiland wünscht ein für allemal zur Kenntnis genommen, daß Musik ein Hauptfach ist, ebenso vielseitig, ebenso schwierig und daher ebenso viel Aufmerksamkeit erfordernd wie irgend ein anderes Lehrfach.
Er gibt sich sehr streng und sehr würdig, und fürwahr (wie Fips sagen würde), es ist trotz seines gemütlichen Bierbäuchleins nicht mit ihm zu spaßen. Es wird ein dreistimmiger Chor eingeübt, der es in sich hat, und Herr Weiland ist nicht leicht zufrieden zu stellen. Seine Hartnäckigkeit und Ausdauer im Wiederholen schwieriger Takte ist nicht zu überbieten, und so
Weitere Kostenlose Bücher