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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Krankenhaus begleitet. Also war es meine Pflicht, über
     diese Dinge Bescheid zu wissen.
    »Tut mir leid«, sagte ich und begann mich tatsächlich schuldig zu fühlen.
    Schließlich rief mich eine junge Frau, die sich als Dr.   Langford vorstellte, in den Flur hinaus und sagte, sie würden Claire zur Überwachung und psychiatrischen Begutachtung dabehalten.
     Vielleicht würden sie auch neurologische Untersuchungen vornehmen.
    »Jemand hat gestern abend versucht, sie umzubringen«, erklärte ich.
    »Das habe ich gehört«, sagte die Ärztin beiläufig, während sie jemandem hinten im Flur zuwinkte. »Wir werden der Sache nachgehen.«
    »Das will ich doch sehr hoffen, meine Liebe.«
    Ich sah die verblüffte Ärztin mit meinem Lehrerinnenblick an. Ich muß ihr zugute halten, daß sie zumindest errötete. »Wir
     werden sie gut betreuen« – sie blickte auf das Kurvenblatt   –, »Mrs.   Hollowell.«
    Ich tätschelte ihr den Arm. »Ich weiß, daß Sie das tun werden.«
    »Sie müßten sich um ihre Aufnahme kümmern.«
    »Kann ich vorher noch mit ihr reden?«
    »Natürlich.« Dr.   Langford und ich gingen zu Claire zurück, die wieder zu schlafen schien. Man hatte ihr eine Infusion gelegt.
    »Glukose«, erklärte die Ärztin. »Sie hatte akuten Flüssigkeitsmangel. Und ein leichtes Beruhigungsmittel.«
    Von dem Beruhigungsmittel würde ich Mary Alice auf keinen Fall erzählen.
    »Claire«, sagte ich und nahm ihre Hand. »Ich geh’ mich nur um Ihre Aufnahmeformalitäten kümmern, ich bin gleich zurück.«
    |64| Sie drückte mir die Hand, aber ihre Augen blieben geschlossen.
    »Wissen Sie«, flüsterte Dr.   Langford, »sie sieht aus wie eine Figur aus dem ›Großen Gatsby‹, finden Sie nicht?«
    Vielleicht war diese junge Ärztin doch kein ganz hoffnungsloser Fall.
    Das Memorial Hospital ist die Klinik, in der Haley in der Herzchirurgie arbeitet. Die Chance, daß ich ihr zufällig begegnete,
     war eigentlich ziemlich gering. Aber als ich durch die Tür in die Empfangshalle der Notaufnahme ging, stand sie dort in ihrer
     grünen Operationskleidung und trank eine Diätcola.
    »Haley!«
    Sie drehte sich um, sah mich und erstarrte. »Mama! Was ist passiert? Ist was mit Daddy?«
    »Nein, mein Schatz, uns geht es gut.«
    »Tante Schwesterherz?«
    »Der geht es auch gut. Ich bin hier mit jemandem, den du gar nicht kennst.«
    Haley sank kraftlos auf einen der blauen Fiberglasstühle. »Mein Gott«, sagte sie. »Ich bin zu Tode erschrocken.«
    »Das tut mir leid.«
    »Wer ist es denn?« Sie zerdrückte die Dose, die sie in der Hand hielt – eine Angewohnheit, die ich hasse   –, und warf sie in den Papierkorb.
    »Eine junge Frau namens Claire Moon. Eine ehemalige Schülerin von mir. Ich traf sie gestern abend auf der Galerieeröffnung,
     bei der ich mit Schwesterherz war, und dann fand ich sie heute morgen in völlig desolater Verfassung auf meiner Treppe vor.
     Sie sagte, jemand habe gestern abend versucht, sie umzubringen.
    »Ist sie verletzt?«
    »Ich glaube, die Ärzte halten ihren Zustand hauptsächlich für psychisch bedingt. Sie wollen sie aber zur Beobachtung dabehalten. |65| Ein paar Untersuchungen machen. Um ehrlich zu sein habe ich keinen Schimmer, was mit ihr los ist oder warum sie ausgerechnet
     zu mir gekommen ist.« Ich setzte mich auf den Stuhl neben Haley. »Was machst du denn hier unten?«
    »Ich warte auf einen Patienten mit einer Schußverletzung, den sie aus Anniston herbringen. Die Kugel hat sein Herz gestreift,
     und wir operieren ihn.«
    »Da hat er ja Glück gehabt«, sagte ich.
    »Tja, kann man so sehen.«
    »Komm doch heute abend zum Essen«, sagte ich. »Es gibt Gemüse-Lasagne.«
    »Da lasse ich mich nicht lange bitten.«
    Ein Krankenwagen hielt draußen. »Das ist wahrscheinlich für mich«, sagte Haley, sprang auf und eilte zur Tür. Ich beobachtete
     sie, wie sie das Entladen des Patienten überwachte und seine lebenswichtigen Funktionen überprüfte. Als sie an mir vorbeistürmte,
     winkte sie mir kurz zu.
    »Das ist meine Tochter«, erklärte ich einer älteren Frau, die mir gegenübersaß und strickte. Sie antwortete nicht, aber das
     war in Ordnung.
    Ich folgte den Hinweisschildern in Richtung Aufnahme, obwohl ich wußte, daß ich auf Mary Alice warten mußte. »Neurologische
     Untersuchungen und psychiatrische Begutachtung« klang nach mehr, als Fred und ich in unserem Sparstrumpf hatten. Schwesterherz
     kam jedoch schon im nächsten Moment in die Eingangshalle gesegelt. Sie hatte

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