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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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irgend etwas über Mercy Armistead?«
    »Ich habe sie gestern abend zum ersten Mal gesehen. Meine Schwester war zu der Eröffnung eingeladen. Weshalb?«
    |72| »Einfach so.« Bo trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Es wirkte allzu beiläufig.
    »Sie hatte eine Herzattacke, stimmt’s?«
    »Angeblich, ja.«
    »Aber Sie haben Zweifel?«
    »Hey, Mrs.   Hollowell, ich bin keine Ärztin.«
    Mir fiel ein, wie Claire »Sie haben Mercy erwischt!« geschrien hatte, und ich erinnerte Bo daran.
    »Ich weiß«, sagte sie.
    »Sie denken, es könnte was dran sein? Ich meine, eine Frau in den Dreißigern, die bis dahin keinerlei Herzprobleme hatte,
     fällt tot um, und in derselben Nacht versucht jemand, ihre Assistentin umzubringen. Was meinen Sie dazu?«
    »Ich weiß nicht.« Wir fuhren die Schnellstraße etwa eine Meile schweigend dahin.
    »Mrs.   Hollowell?«
    »Nennen Sie mich Patricia Anne.«
    »Patricia Anne, möchten Sie für Claire ein paar Nachthemden holen? Ihre Wohnung liegt gleich hinter der nächsten Ausfahrt.«
    Ich dachte an die Polizisten dort. »Na ja...«
    »Ich würde Ihnen dort gern etwas zeigen.«
    »Mir etwas zeigen?«
    »Ich würde gern Ihre Meinung dazu hören.«
    Ich seufzte. »Okay. Aber kann man von diesem Ding hier auch private Telefonanrufe führen?« Ich zeigte auf den quäkenden Apparat.
     »Mein Mann hat vielleicht versucht, mich anzurufen.«
    »Hier.« Bo Peep griff in ihre Tasche und zog ein winziges Handy heraus. »Nehmen Sie das.« Das Telefon hatte die Größe eines
     kleinen Taschenrechners und war fast ebenso leicht. In diesem Moment wußte ich, was ich mir von Fred zu Weihnachten wünschte.
    Er war nicht da, aber ich war so fasziniert, daß ich meine |73| eigene Nummer anwählte, um zu sehen, ob ich irgendwelche Nachrichten erhalten hatte. In der Bücherei lag ein vorbestelltes
     Buch bereit, Bonnie Blue bat mich um Rückruf, und Mary Alice erklärte, ich solle mir wegen Weihnachten keine Sorgen machen.
    »Alles in Ordnung?« fragte Bo Mitchell, als ich ihr das Telefon zurückgab.
    »Meine Schwester teilt mir mit, ich solle mir wegen Weihnachten keine Sorgen machen.«
    »Das ist doch nett.«
    »Nicht unbedingt.«
    Wir waren in ein Viertel mit Wohnhäusern eingebogen, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren. Ansprechend
     und solide gebaut. Als man vor zehn Jahren die Miet- zu Eigentumswohnungen gemacht hatte, hatten sich Leute darauf gestürzt,
     die etwas für hohe Decken, Stuck, Rundbogen und Erker übrig hatten. Seitdem waren die Preise in die Höhe geschnellt. Ich war
     verblüfft, als Bo vor einem Eckhaus hielt, von dem aus man einen Blick über das ganze Tal hatte.
    »Hier wohnt Claire?« fragte ich.
    »Ja.«
    Wir stiegen aus und gingen zur Tür, wo wir über ein gelbes Absperrungsband der Polizei klettern mußten.
    »Teure Gegend hier«, sagte ich.
    »Claire Moon gehört eine zweigeschossige Wohnung, mit eigenem Eingang und allem Drum und Dran.« Bo Peep Mitchell wühlte in
     ihrer Tasche, fand einen Schlüssel und schloß die weiße Tür auf. Sie ließ mir den Vortritt. »Nun, was halten Sie davon?«
    Es war, als wäre ich in eine Schneewehe geraten. Das gesamte Interieur war weiß, nicht mattweiß, sondern gleißend. Der Teppich,
     die Wände, die Möbel, ja selbst die Bilder und Nippsachen waren durchweg weiß. Ich spürte den Impuls, meine Sonnenbrille aus
     der Handtasche zu holen.
    |74| »Was halten Sie davon?« fragte Bo Peep erneut.
    »Ganz schön weiß hier. Ich dachte, es wäre alles verwüstet.«
    »Sehen Sie mal genau hin.«
    Und nun entdeckte ich die Schlitze im Sofa, aus denen die weiße Füllung hervorquoll, und die glitzernden Glasscherben auf
     dem weißen Herd. Je genauer ich hinschaute, desto mehr Schaden sah ich.
    »Hier ist die Stelle, an der das Messer in die Tür gerammt wurde.« Bo Mitchell schloß die Eingangstür, und eine dunkle Kerbe
     prangte mitten in all dem Weiß wie ein Blutfleck. »Vermutlich ein Fleischermesser.«
    Ich erschauderte. »Ist es das, was Sie mir zeigen wollten?«
    »Nein. Gehen wir nach oben.«
    All diese Wohnungen hatten ursprünglich drei kleine Schlafzimmer im ersten Stock. Aber viele der Bewohner hatten die beiden
     kleineren Räume zu einem großen Schlafzimmer umgebaut. Ich sah sofort, daß Claire oder die Leute, von denen sie die Wohneinheit
     gekauft hatte, dies auch gemacht hatten. Dort oben war ebenfalls alles weiß und blendete sogar noch mehr, da durch ein großes
     Oberlicht die Dezembersonne in

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