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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Untergeschoß verlegen lassen. Überraschenderweise war es dort unten licht und luftig, und es gab ein großes offenes
     Atrium, das von natürlichem Sonnenlicht durchflutet schien und in dem Pflanzen und sogar ein paar kleine Bäume gediehen.
    »Sie haben sie hier besser im Auge«, sagte Bo. Angesichts des zahlreichen Personals, das hier durch die Gänge lief, mußte
     ich ihr beipflichten. »Wir machen das manchmal, wenn wir nicht sicher sind, was los ist.«
    »Hier sieht’s aus wie in einem Nobelhotel«, sagte ich.
    »Mhm.« Bo Mitchell steuerte auf das Schwesternzimmer zu.
    »Hey, Bo Peep.« Eine kleine blonde Frau in einem roten Nylonoverall tauchte hinter uns auf. »Bringst du uns Kundschaft?«
    Bo Peep? Das war doch die kleine Hirtin aus dem Kinderlied, die ihre Schafe verloren hatte. Ich musterte sie eindringlich.
    »Hi, Connie. Das ist Mrs.   Hollowell.«
    »Ich bin keine Patientin«, versicherte ich Connie. »Obwohl das natürlich nicht weiter schlimm wäre, nicht? Ich meine, ein
     Psychiatriepatient ist ein Kranker wie jeder andere. Richtig?«
    »Richtig«, antworteten Connie und Bo Peep wie aus einem Munde.
    Ich hätte mich in den Hintern beißen können. Diese übertriebenen |70| Beteuerungen, völlig albern. Aber wie sollten diese beiden jungen Frauen, die im Zeitalter von Lithium, Beruhigungsmitteln
     und Antidepressiva aufgewachsen waren, die Angst vor psychischen Störungen verstehen, mit der meine Generation groß geworden
     war? Meine Großtante Josephine hatte oft »Zustände«, während derer sie mit dem Alltag nicht mehr zurechtkam. Sie lag dann
     im Bett, weinte und wütete manchmal gegen ihren Ehemann und die Kinder. Und es gab nichts, was man dagegen hätte tun können.
     Ihre Anfälle wurden einfach als Zeichen der Schwäche betrachtet.
    Ich weiß noch, wie ich einmal mit meinem Großvater, der weiß Gott kein unsensibler Mann war, zu seiner Schwester ging, als
     diese in ihrem verdunkelten Zimmer im Bett lag und die Wand anstarrte. »Steh auf, Josie«, hatte er gesagt, »Schluß mit dem
     Theater. Du hast uns allen schon genug Sorgen gemacht.« Das war wenige Wochen, bevor sie sich die Pulsadern aufschnitt.
    Mich fröstelte, aber Connie und Bo achteten nicht auf mich. Sie sprachen über Claire.
    »Wird gemacht«, sagte Connie.
    »Danke. Wir werden regelmäßig vorbeischauen.«
    Der Aufzug öffnete sich, und zwei Krankenpfleger schoben Claires Bett heraus.
    »Ist sie das?« fragte Connie.
    Bo Mitchell nickte.
    »Bringen Sie sie hier rein.« Connie deutete auf einen Raum direkt gegenüber vom Schwesternzimmer.
    »Gut«, sagte Bo.
    »Hier ist sie so sicher wie in Abrahams Schoß«, erklärte Connie.
    Nachdem ich meine Telefonnummer hinterlassen hatte, für den Fall, daß Claire aufwachte und mich sehen wollte, fragte ich Bo
     Mitchell, ob sie mich mit nach Hause nehmen könnte.
    |71| »Klar.« Ihr Auto stand unmittelbar vor dem Eingang des Krankenhauses im Halteverbot. »Ein Vorteil meines Berufs«, sagte sie
     und ließ ihre perfekten Zähne blitzen.
    Ich stellte fest, daß dies die zweite Premiere für mich an diesem Tag war. Erst der Krankenwagen und nun das Polizeiauto.
     Wir fuhren unter dem für mich völlig unverständlichen Gequake aus dem Funkgerät dahin. Bo Mitchell schien jedoch in der Lage,
     es zu interpretieren. Ein paarmal drückte sie auf einen Knopf und antwortete. Eine wirre Mischung aus Zahlen und Kürzeln.
     Genau wie im Fernsehen.
    Sie wandte mir den Kopf zu. »Erzählen Sie mir von Claire Moon.«
    »Heißen Sie mit zweitem Vornamen Peep?«
    Sie lachte. »Können Sie das fassen, daß meine Mama mir das angetan hat? So nennen mich auch tatsächlich alle, außer in der
     Polizeistation. Dort haben sie gesagt: ›Hey, Mädchen, was wirft das für ein Licht auf unseren Laden? Dein Name ist Bo. Punktum.‹«
    Sie blickte zu mir herüber. »Als ich vor Ihrer Tür stand, was wäre da gewesen, wenn ich gesagt hätte, ›Guten Tag, ich bin
     Bo Peep Mitchell‹?«
    »Ich verstehe.«
    »Sie hätten sich totgelacht.« Sie bog schwungvoll auf die Schnellstraße ein. »Jetzt erzählen Sie mir von Claire.«
    Ich erzählte ihr alles, was ich über Claire als Teenager wußte und wie ich sie am Vorabend nach Jahren zum ersten Mal wiedergesehen
     hatte. Ich erzählte ihr, wie sie an meiner Treppe aufgetaucht war und in welcher Verfassung und daß das alles sei, was ich
     über sie wisse. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung gehabt, wo sie wohnte und daß sie verwitwet war.
    »Wissen Sie

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