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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einem Rechteck auf ein riesiges Doppelbett fiel. Über das Bett war mit roter Farbe das Wort
     »Hure« gesprayt. Die Farbe war heruntergetropft wie Blut.
    »Ach, du meine Güte«, sagte ich und schloß die Augen.
    »Hier drin ist das, was ich Ihnen zeigen will«, sagte Bo. Ich folgte ihr in das kleine Gästezimmer. Im Vergleich zum angrenzenden
     Raum war es dort viel dunkler. Meine Augen mußten sich erst an das veränderte Licht gewöhnen.
    »Was halten Sie davon?«
    »Wovon? Ich kann nichts sehen.«
    »Schließen Sie mal kurz die Augen.«
    Ich tat dies, und als ich sie wieder öffnete, war ich nicht länger in Weiß eingetaucht. Die Wände waren mit Graffiti in |75| knalligen Farben bedeckt. Quer über den Putz waren obszöne Worte geschrieben. Langgezogene, farbige Schlieren durchkreuzten
     sich wild, als ob der Vandale ein besonderes Vergnügen daran gehabt hätte, die Spraydose auf die weiße Wand zu richten.
    »O Gott«, sagte ich.
    »Schauen Sie nur.« Bo Mitchell schaltete ein Deckenlicht an, und nun sprang mir das volle Ausmaß der Verwüstung ins Auge.
     Ein feuriges Rot rann die Wände herab. Wie eine explodierende Sonne, die ihre Flammen über den ganzen Schauplatz ergießt.
    »O Gott!« rief ich erneut und kämpfte gegen die Übelkeit an.
    »Und sehen Sie mal hier.«
    Ich kniete mich hin und blickte in die Ecke, auf die Bo Peep Mitchell zeigte. Dort, auf einem kleinen viereckigen, vielleicht
     25 auf 30   Zentimeter großen Bereich, war eine idyllische ländliche Szene zu sehen. In den sanftesten Pastelltönen war dort eine rothaarige
     Frau an die Wand gepinselt, die auf einer Wiese saß und drei Bilder von einem dunkelhaarigen Modell malte. Die Malerin wandte
     dem Betrachter den Rücken zu, so daß wir die Porträts auf den drei Staffeleien sahen.
    »Was ist das?« fragte ich Bo. »Haben Sie eine Taschenlampe?«
    Sie reichte mir eine, und ich leuchtete mit der einen Hand das Gemälde an, während ich mit der anderen meine Bifokalbrille
     so davorhielt, daß der untere Teil die Bilder vergrößerte. »Alle drei Bilder zeigen Frauen mit Haaren wie Claire. Aber sie
     haben keine Gesichtszüge.«
    Bo Peep setzte sich neben mich auf den Boden. »Lassen Sie mich mal mit Ihrer Brille schauen.«
    Sie hielt sie vor das Gemälde, um es eingehend zu betrachten.
    »Mercy Armistead war rothaarig«, sagte ich.
    |76| Bo Peep gab mir meine Brille zurück. »Das habe ich gehört.« Sie deutete auf die Wand über uns. »Was meinen Sie dazu?«
    »Was halten Sie davon, was meinen Sie dazu? Nun lassen Sie mich doch mit solchen Fragen in Ruhe, verdammt noch mal. Ich bin
     kein Psychiater.« Ich griff nach der Türklinke, zog mich hoch und stapfte ins andere Zimmer. Mir wurde auf einmal alles zuviel.
     Der ganze Vormittag schlug mir jetzt auf die Stimmung. »Wollen Sie von mir wissen, ob ich denke, daß ein Durchschnittsmensch
     solche Dinge an die Wand malt?« Ich deutete auf das Wort »Hure«. »Ich hoffe nicht. Aber kann ich ein psychoanalytisches Gutachten
     dazu erstellen? Nein.«
    Bo Peep folgte mir ins große Schlafzimmer.
    »Im Moment bin ich einfach nur hier, um einem kranken Mädchen ein paar saubere Nachthemden zu holen.«
    »Wetten, daß sie weiß sind«, sagte Bo Mitchell.
    Waren sie.
    Als ich nach Hause kam, war ich erschöpft. Ich machte mir ein Erdnußbutter-Sandwich mit Banane, goß mir ein Glas Milch ein
     und setzte mich, um mir eine alte Folge von ›Verliebt in eine Hexe‹ anzusehen. Als ich fast fertig war, klingelte das Telefon.
    »Was machst du gerade?« fragte Mary Alice.
    »Ich esse ein Sandwich und gucke ›Verliebt in eine Hexe‹.«
    »Mit dem alten Darrin oder dem neuen?«
    »Dem alten.«
    »Ich kann es nach wie vor nicht fassen, daß wir das einfach so hingenommen haben. Nur weil der Schauspieler irgendwelche Rückenprobleme
     hat, wechselt Samantha mittendrin den Ehemann, und die glauben, die Zuschauer würden das nicht merken?«
    »Vielleicht machen das Hexen so.«
    Mary Alice war einen Moment lang still, während sie mit der Entscheidung rang, ob sie das nun persönlich nehmen sollte |77| oder nicht. Sie entschied sich für letzteres. »Hast du meine Nachricht erhalten?« fragte sie.
    »Wegen Weihnachten?«
    »Du gerätst immer in solch einen Streß, daß ich dachte, wir könnten dieses Jahr alle in den Fingerhut zum Abendessen gehen.«
    »Fingerhut? Das klingt aber giftig.«
    »Ist es nicht. Das ist ein absolut wundervolles Lokal. Bill und ich haben dort neulich abends

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