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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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geht, Mrs.   Hollowell?«
    »Nicht gut«, sagte ich. Wieder jemand, der mich fragte, was ich dachte? Plötzlich wurde ich ärgerlich. »Sie sind doch diejenige,
     die über ihr Befinden im Bilde sein müßte, Mrs.   Bedsole. Sie ist doch Ihre Pflegetochter.«
    |104| Liliane Bedsole wandte den Kopf und sah mich an. »Sie ist meine Nichte, Mrs.   Hollowell.«
    »Ich dachte, Mercy sei Ihre Nichte.«
    »Ist sie auch. Sie sind beide meine Nichten. Das heißt, Großnichten.«
    »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
    »Nun, die meisten Leute, die in die Angelegenheit involviert waren, leben nicht mehr, und in der heutigen Gesellschaft spielen
     alte Leichen im Keller doch keine Rolle mehr.«
    Ich blickte Liliane Bedsole an und wartete. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
    »Mrs.   Hollowell, mein Bruder, Amos Bedsole, brannte durch und heiratete ein Mädchen, das er kennengelernt hatte, als sie im Elite
     Café kellnerte. Er war achtzehn, sie ein hübsches junges Ding. Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen, an dem Abend, als
     Amos sie mit nach Hause brachte. Ihr Vater war Bergarbeiter und nicht einmal Amerikaner. Jugoslawe oder irgend so etwas...
     Spielt ja auch keine Rolle. – Nun, die Ehe war nahezu ebenso schnell annulliert, wie sie sich das Jawort gegeben hatten. Daddy
     bezahlte sie wahrscheinlich aus, obwohl ich bezweifle, daß es das war, worauf das Mädchen aus war. Amos ging fort aufs College,
     heiratete später Edna, und sie bekamen Betty. Er übernahm Vaters Firma. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte das Mädchen fast
     vergessen. Ihr Name war Dania. Hübsches junges Ding«, wiederholte sie.
    Liliane schwieg einen Augenblick lang, offenbar war sie mit ihren Gedanken bei Dania. Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Dann,
     vor sechzehn, vielleicht siebzehn Jahren, tauchte Dania in Amos’ Büro auf. Sie hatte Krebs im Endstadium und erzählte ihm,
     daß sie eine gemeinsame Tochter hätten. Sie können sich nicht vorstellen, wie Amos zumute war. Er war ein guter Mann, Mrs.   Hollowell, und wäre für sie dagewesen, wenn er das gewußt hätte. Und dann stellte sich heraus, daß Dania gar nicht wegen ihrer
     Tochter da war, sondern wegen |105| ihrer Enkelinnen. Sie hatte jahrelang in Florida gelebt, so daß sie nicht über das Ausmaß der Mißstände in der Familie ihrer
     Tochter Bescheid gewußt hatte. Sie erzählte Amos, daß sie das Jugendamt angerufen hatte, nachdem sie die Kinder gesehen hatte
     und ihr klar geworden war, daß sie Hilfe benötigten. Man empfahl ihr dort, zur psychologischen Beratung zu gehen. Ist das
     nicht unglaublich? Die Kinder sind am Verhungern, körperlich übel zugerichtet, und sie empfehlen eine psychologische Beratung.«
     Liliane schüttelte den Kopf. »Es war sogar noch schlimmer, als Dania es sich vorgestellt hatte. Amos sagte immer, es war ein
     Glück, daß sie starb, bevor sie es herausbekam.«
    »Und was hat Amos unternommen?« fragte ich.
    »Als erstes erzählte er es Edna. Sie war eine gute Frau, Mrs.   Hollowell. Dann verständigte er noch am selben Tag das Jugendamt, und den Rest wissen Sie wahrscheinlich selbst.«
    »Wie war der Name der Tochter?«
    »Elizabeth. Amos brachte sie in einem Rehabilitationscenter unter. Kaum wieder draußen, starb sie an einer Überdosis Rauschgift.«
    Ich kramte in meiner Tasche nach einem Kleenex. Verdammt. »Amos hatte also zwei Töchter namens Elizabeth.«
    »Ja. Bettys richtiger Name ist Elizabeth.«
    Ich wischte mir die Augen. »Weiß Claire davon? Daß sie Amos Bedsoles Enkelin ist?«
    »Sie weiß es.«
    »Und ihre Schwestern? Die Zwillinge?«
    Liliane lächelte. Es war das erste Mal, daß ich einen glücklichen Ausdruck auf ihrem Gesicht sah. »Glynn und Lynn sind noch
     am Tag ihrer Highschool-Abschlußprüfung abgehauen. Sie leben als Models in New York. Sie können sie ab und an in irgendwelchen
     Zwillings-Werbespots sehen. Sie waren natürlich in psychologischer Behandlung, wie Claire auch, aber die Ärzte kamen zu dem
     Schluß, daß die Tatsache, daß sie |106| einander hatten, sie bis zu einem gewissen Grad vor ihrem Umfeld geschützt hat, in emotionaler Hinsicht jedenfalls. Körperlich
     nicht. Sie waren sehr stark mangelernährt.«
    »Und Sie adoptierten sie Amos zuliebe.«
    »Ich adoptierte sie mir selbst zuliebe, Mrs.   Hollowell, und jetzt muß ich Claire finden. Mercys Tod ist nur ein Kummer mehr in ihrem jungen Leben.«
    »Sie sagte, sie sei verwitwet.«
    Liliane nickte. »Ein schrecklicher

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