O du Mörderische
erneut die Achseln. Ich lebte bereits vierzig Jahre mit den Auseinandersetzungen zwischen Fred und Mary Alice,
und es mußte schon viel passieren, um mich aus der Ruhe zu bringen.
»Gibt es noch irgendwo Sojasauce?« rief sie.
»Nein«, schrie Fred zurück.
»Schau innen in der Kühlschranktür.« Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee. »Der ist gut«, sagte ich zu Fred.
»Kein Mensch bewahrt Sojasauce im Kühlschrank auf«, kam es aus der Küche.
»Patricia Anne schon.«
|110| Ich trank meinen Kaffee und streckte die Füße aus, um sie am Kamin zu wärmen.
»So, jetzt kann’s losgehen.« Mary Alice stellte einen Küchenstuhl zwischen die Kissen, auf denen Fred und ich saßen, und nahm
Platz. »Das kann doch wohl kaum bequem sein da unten«, sagte sie.
»Och, so bleiben wir gelenkig.« Fred beugte sich vor und berührte seine Zehen, um das Gesagte unter Beweis zu stellen. Ich
überlegte sofort, wo das Mobilat lag.
»Wo ist dein Weihnachtsmann?« fragte ich.
»Pokerabend.« Mary Alice zeigte mit der Gabel auf ihren Teller. »Lecker.«
»Freut mich, daß es dir schmeckt.« Fred sprang behende hoch (wo
war
bloß das Mobilat?) und verkündete, er würde sich jetzt das Spiel anschauen.
»Welches Spiel?« fragte Schwesterherz.
»Atlanta Braves gegen Montreal.«
Ich schlürfte meinen Kaffee.
»Ach«, sagte Mary Alice. »Die Baseballsaison beginnt auch jedes Jahr früher, was?« Sie sah Fred hinterher, der im Flur verschwand.
»Er ist ein fürchterlicher Klugscheißer, Patricia Anne. Ich weiß gar nicht, wie du es mit ihm aushältst. Frühlingsrollen gab’s
wohl nicht, oder?«
»Die haben wir schon aufgegessen.«
»Du hast eine ganze Frühlingsrolle gegessen?«
»Ja.«
»Es geschehen immer wieder Zeichen und Wunder. Haben sie Claire gefunden?«
»Woher weißt du, daß sie verschwunden ist?«
»Ich habe Bonnie Blue im Einkaufszentrum getroffen.«
»Woher weiß sie das denn?«
»Thurman hat es James erzählt und der Bonnie Blue.«
»Und woher weiß Thurman davon?«
»Keine Ahnung.«
|111| Das war ja allmählich die reinste Boulevardkomödie. Ich stellte meine leere Kaffeetasse auf den Kamin und erzählte Mary Alice
von meiner Fahrt ins Krankenhaus und wie Claire entweder einfach rausspaziert oder entführt worden war und daß niemand darüber
sonderlich bestürzt zu sein schien. Ich erzählte ihr auch, daß Claire Amos Bedsoles Enkelin war und die Pflegetochter von
Liliane Bedsole und daß diese am Nachmittag zu Besuch dagewesen sei.
»Großartig. Dann hat Claire zumindest eine Versicherung fürs Krankenhaus«, sagte Schwesterherz.
»Mit Sicherheit. Die Frage scheint jetzt eher, ob sie noch lebt oder nicht. Erinnerst du dich, wie sie sagte: ›Sie haben Mercy
erwischt‹ und dann in Ohnmacht fiel? Waren das nicht ihre Worte?«
»Exakt.«
»Und wenn jemand Mercy umgebracht hat und Claire weiß, wer es war, dann könnte derjenige sie auch erwischt haben.«
»Aber warum das Ganze?«
»Ich weiß es nicht.« Ich blickte ins Feuer, als käme von dort eine Antwort.
»Ich weiß etwas, was du nicht weißt«, verkündete Mary Alice. »Ich weiß, wie Mercy umgebracht wurde.«
»Digitalis«, sagte ich. »Daraufhin erlitt sie einen Herzanfall.«
»Aber ich weiß, wie der Mörder es ihr verabreichte. Er hat sie de-em-es-ot.«
»Was hat er?«
Mary Alice reichte mir ihren leeren Teller. »Hier.« Ich stellte ihn neben meine Tasse auf den Kamin. »De-em-es-ot.«
»Was zum Teufel ist ›de-em-es-ot‹, und kannst du vielleicht endlich mal das Geblinke an deinem Oberteil abstellen? Mir ist
schon ganz schwindlig.«
»Nein. Schau einfach nicht hin.« Mary Alice machte eine Pause.
|112| »Also?«
»Es gibt ein Zeug namens DMSO, eine durchsichtige Flüssigkeit. Wenn man sie in die Haut einreibt, transportiert sie alles
mögliche in den Körper hinein. Mercy wurde de-em-es-ot.«
»Ich begreife nach wie vor nicht, wovon du sprichst.«
»Okay. Erinnerst du dich, daß Mercys Haar vollkommen in Unordnung war bei unserer Ankunft und daß sie sich irgendwohin zurückgezogen
hatte und versuchte, es wieder in Ordnung zu bringen?«
»Klar, ich erinnere mich.«
»Nun, bei der Autopsie wurde DMSO gefunden – Dimethyl irgendwas –, und als man die Galerie danach absuchte, fand man es in der Sprühflasche mit dem Haarfestiger. Voll mit Digitalis.«
Ich saß jetzt kerzengerade. »Du meinst, der Fingerhutextrakt gelangte über ihren Haarfestiger in ihren
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