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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Ihnen diese Dania-Geschichte erzählt? Normalerweise läßt sie sich das nicht nehmen.«
    Ich nickte überrascht.
    |256| »Nun, es ist viel einfacher. Liliane ist unsere Großmutter. Sie wurde noch auf dem College schwanger und bekam unsere Mutter.
     Natürlich wurde alles unter den Teppich gekehrt, und das Baby wurde von einer Angestellten meines Großvaters adoptiert, die
     für diesen Gefallen, da bin ich mir sicher, gut bezahlt wurde. Gott weiß, wo Liliane diese Dania-Geschichte herhat. Wahrscheinlich
     aus irgendeiner Seifenoper.«
    »Ich habe sie geglaubt«, gestand ich und mußte an meine Tränen denken.
    »Lynn und Glynn macht das ganz wahnsinnig. Sie nehmen die Tatsache, daß sie sich nicht offen zu uns bekennt, persönlich. Die
     Zwillinge und Liliane waren stets wie Hund und Katz miteinander, lagen ständig im Clinch. Wegen allem, von der Länge der Röcke
     angefangen bis zu ihren Freunden. Am Tag ihres High-School-Abschlusses klauten sie aus Lilianes Portemonnaie das Geld für
     die Flugtickets nach New York, und weg waren sie.«
    »Und wie kommen Sie mit Liliane zurecht?« fragte ich.
    »Vielleicht konnte sie nichts anderes tun – wenn man die Zeit und die Umstände bedenkt«, erwiderte Claire achselzuckend.
    »Ja, die Umstände waren mit Sicherheit anders vor fünfzig Jahren.«
    »Denke ich auch. Auf der anderen Seite kann ich verstehen, wie die Zwillinge sich fühlen.« Claire schwieg eine Weile. »Sie
     wollten wissen, woher die beiden erfahren hatten, daß ich im Krankenhaus lag. Wissen Sie, ich habe nicht daran gedacht, sie
     zu fragen. Aber in Birmingham waren sie, weil Mercy ihnen eine Einladung für die Galerieeröffnung geschickt hatte. Natürlich
     kamen sie einen Tag zu spät. Aber das ist typisch Glynn und Lynn.« Claire fuhr mit dem Finger über den Rand der Tasse.
    »Waren die Zwillinge und Mercy eng befreundet?«
    »Die Zwillinge und Mercy? Nicht besonders. Ich war überrascht, daß sie kamen. Sie lassen sich allerdings schon dann |257| und wann mal hier blicken, seit ich wieder in Birmingham bin. Ich freue mich immer, sie zu sehen. Aber sie haben es sich beide
     zum Ziel gesetzt, der armen Liliane das Leben schwerzumachen. Letztes Frühjahr tauchten Lynn und Glynn bei einer piekfeinen
     Feier im Botanischen Garten auf, hoben sie in die Höhe und drückten ihr einen schmatzenden Kuß auf jede Wange. Sie wählten
     den Winkel so, daß Liliane danach aussah, als habe sie rote Schnurrhaare. Mit derartigen Aktionen haben sie sie schon immer
     zum Wahnsinn getrieben.«
    Ich konnte mir Liliane Bedsole mit ihrem karottenroten Haar und ihrem gelifteten Gesicht gut mit roten Schnurrhaaren vorstellen.
     »Das hätte ich gern gesehen«, erklärte ich wahrheitsgemäß.
    »Sie verhalten sich manchmal wie aufsässige Kinder, die nach Aufmerksamkeit heischen.« Claire zeigte auf die Handtasche, die
     sie über die Stuhllehne gehängt hatte. »Das ist Glynnies Tasche. Ich habe sie mir geborgt, und ich schwöre Ihnen: Ich habe
     Angst, irgendeines der Fächer zu öffnen, Angst, daß da irgend etwas herausschnellen könnte wie ein Springteufel.«
    »Das ist keine so schlimme Charaktereigenschaft«, sagte ich, mit meinen Gedanken noch bei den aufsässigen Kindern.
    »Nein, ist es nicht.« Claire schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. »Ich muß ihren Mietwagen zurückbringen, bevor sie aufwachen.
     Ich wollte schnell zu mir rüber und was zum Anziehen und ein paar andere Dinge holen. Ich fahre für ein paar Tage raus zu
     James und Yvonne Butler.«
    »Ist das in Ordnung, wenn Sie einfach so in die Wohnung gehen?«
    Claire, die schon in Richtung Flur unterwegs war, drehte sich um. »Glauben Sie nicht?«
    »Nun ja, wir haben es hier mit einem Tatort zu tun.« Der Rest des Satzes – »an dem irgend jemand versucht hat, Sie zu töten«
     – schwebte unausgesprochen im Raum.
    |258| »Meinen Sie, ich sollte das von dieser Polizistin klären lassen? Wie hieß sie noch?«
    »Bo Mitchell. Ja, ich denke, das sollten Sie. Wenn sie sagt, daß es okay ist, komme ich mit Ihnen mit. Ich will nicht, daß
     Sie da draußen ganz allein sind.«
    »Das ist für mich kein Problem. Diesmal weiß ich ja, was mich erwartet. Und es ist Tag.«
    »Rufen Sie sie einfach an«, beharrte ich.
     
    Der Mietwagen der Zwillinge war gerade mal groß genug für Claire und mich. »Ich hoffe, Sie wollen nicht allzu viele Sachen
     holen«, sagte ich, während wir auf ihr Haus zufuhren.
    »Nein, nur ein paar Kleidungsstücke. Diese hier

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