Oase der Versuchung
nichts vor. Es wäre mir nicht gleich, wenn du ein Mann wärst, und so ist es mir zweimal nicht egal. Selbst wenn du ein Spion wärst, wie ich am Anfang dachte, hättest du eine so schlechte Behandlung nicht verdient. Niemals darf man Hilflosigkeit ausnützen, unter gar keinen Umständen. Die Männer, die dir das angetan haben, kämpfen nicht für unser Land, auch wenn sie das behaupten. Sie sind üble und feige Gesellen, die sich an Wehrlosen vergreifen.“
„Sehr richtig. Und im Gegensatz dazu sind Sie der Rächer und Beschützer der Schwachen und Unterdrückten“, bemerkte Talia mit ironischem Unterton.
Ernst, beinahe feierlich nickte er, und als er bestätigte: „Ja, das bin ich“, klang es wie die Erneuerung eines Schwures.
Da konnte Talia nicht mehr an sich halten. „So wie Sie meinen Bruder beschützt haben?“, rief sie wütend. „Vor Ihrer ehrenwerten Familie, die ihn ins Gefängnis geworfen hat?“
4. KAPITEL
Hassan war auf alles gefasst gewesen. Er hatte sich bereits daran gewöhnt, dass Talia Jasmine Burke immer für eine Überraschung gut war. Aber jetzt das! Damit hatte er nicht gerechnet.
Wortlos sah er ihr in die blauen Augen, aus denen der Zorn blitzte. Ganz in der Tiefe lag noch etwas. Angst? Die Wahrnehmung passte zu dem, was er bis jetzt über sie wusste. Was ihren Gefühlen im Weg stand, hatte im Grunde nichts mit ihr selbst zu tun, sondern mit einem Menschen, den sie liebte. Mit ihrem Bruder. Seinetwegen war sie hier.
Hassan wusste, dass sie ihm das nicht hatte sagen wollen. Doch jetzt ließ es sich nicht mehr ungeschehen machen.
Immerhin war ihm dadurch eines klar: Es handelte sich um den T. J. Burke, dem er auf der Spur war und der, wie er wusste, im Gefängnis saß. Nur verstand Hassan immer noch nicht, wieso sie dessen Haftstrafe mit seiner Familie in Verbindung brachte.
So wie ich Talia kenne, dachte Hassan, wird sie sich eher die Zunge abbeißen, als mir mehr zu erzählen.
Er sah sie an. Sie war entschlossen, nichts preiszugeben. Bis sie nach einer Weile begann, am ganzen Körper vor Anspannung zu zittern. In ihrem Gesicht spiegelte sich so viel Schmerz, dass Hassan sie am liebsten in die Arme genommen hätte, um sie zu beruhigen. Aber im Moment sah sie in ihm nichts als den Feind. Ganz gewiss würde sie sich nicht von dem Mann trösten lassen, den sie für mitverantwortlich am Schicksal ihres Bruders hielt.
Hassan wusste, dass er Gefahr lief, erneut von ihr geschlagen zu werden, als er sagte: „Der Anfang ist doch schon gemacht. Erzähl mir alles, Talia.“
Sie atmete tief durch. „Wozu? Sie werden mir ja doch wieder nur sagen, dass alles ganz anders ist. Also schweige ich lieber und bleibe bei meiner Sicht der Dinge.“
„ Oqssem b’Ellahi , jetzt rede doch endlich, Talia – oder ich küsse dich noch mal.“
Die Erinnerung an den Kuss schwächte ihre Abwehr einen Augenblick lang – was sie nur noch zorniger machte. Doch der kurze Moment hatte Hassan gereicht, um erfreut festzustellen, dass die Anziehung zwischen ihnen stärker war als ihre Feindseligkeit.
Trotzdem wusste er nicht, wie sich die Situation entschärfen ließ.
„Ich warne Sie“, stieß Talia empört hervor. „Ich kann meine Drohung von vorhin nur wiederholen. Dann beiße ich Sie eben in die Lippe statt in die Hand!“
Wieder unterdrückte Hassan ein Lächeln, um nichts zu verderben. Er neigte sich zu ihr. „Stört mich nicht – weil du mich ja verarztest. Jetzt rede schon, Talia. Was soll ich getan haben?“
„Wie schon gesagt: Ich bin keine Richterin. Und auch keine Polizistin, die Tatbestände erfasst. Deshalb schulde ich Ihnen keine Zusammenstellung von Anklagepunkten. Ich bin einfach nur die Angehörige eines Opfers – und Sie gehören zur Familie der Täter.“
„Und was soll diese sogenannte Täterfamilie getan haben? Heraus mit der Sprache!“
Leise verfluchte sie seine Hartnäckigkeit. Dann sagte sie: „Mein Bruder, genauer gesagt: mein Zwillingsbruder, ist Computerspezialist und international sehr gefragt. Als er vor zwei Jahren in Azmahar arbeitete, hat er sich in eine Frau verliebt. Die beiden wollten heiraten, aber ihre Familie hat es nicht erlaubt.“
Also steckte eine Liebesgeschichte hinter der ganzen Sache …
„Ihr Name ist Ghada Aal Maleki“, erklärte sie völlig akzentfrei und sah ihn dabei fragend an. „Na, klingelt da etwas in Ihrem Kopf? Wahrscheinlich ein ganzes Glockenspiel …“
Hassan überlegte kurz. „Entschuldige bitte den Lärm des
Weitere Kostenlose Bücher