Oase der Versuchung
Sie vielleicht nur ein Spielball des herrschenden Zweigs Ihrer Familie? … Was das Ganze auch nicht besser macht.“
Wortlos sah er sie an. Dann fragte er: „Sie wissen nicht, wer ich bin, oder?“
„Sie sind ein Aal Shalaan“, stieß sie hervor. „Mehr brauche ich nicht zu wissen.“
Würde sie anders von ihm denken, wenn sie seinen ganzen Namen kannte? Besser? Hassan hoffte es inständig. Denn inzwischen fand er ihre anhaltende Feindseligkeit nicht mehr ganz so lustig. Er nahm einen tiefen Atemzug. „Ich bin nicht irgendein Aal Shalaan. Ich bin Hassan.“
„Habe ich schon mitbekommen. Sollte mir das irgendetwas sagen? Sie tun ja gerade so, als wären Sie eine Art Elvis Presley.“
„Im Augenblick fühle ich mich mehr wie Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise. Und Sie kennen mich wirklich nicht?“
Mit zusammengekniffenen Augen sah sie ihn an. „Soll das heißen, Sie sind ein hohes Tier?“
„Das dritthöchste, um genau zu sein.“
Kein Zweifel, sie hatte begriffen. Und doch sah sie ihn mit einem Blick an, als hoffte sie, es wäre nicht wahr. Hassan wartete – auf die Reaktion, die die Nennung seines Namens normalerweise auslöste.
Aber Talia schüttelte wie in Zeitlupe den Kopf. Endlich fand sie die Stimme wieder und fragte: „Sie sind der Hassan Aal Shalaan?“
„Meinen Sie denn, es gibt noch andere?“
„Sie müssen mich für ziemlich dämlich halten, wenn Sie glauben, dass ich Ihnen das abkaufe!“
„Im Gegenteil, ich finde Sie sehr intelligent. – Und im Allgemeinen gut informiert. In diesem Fall allerdings nicht, fürchte ich.“
„Na schön. Ein offener Geist ist das Hauptmerkmal von Intelligenz. Und mein Geist ist offen und weit wie die Wüste. Also gut, ich höre. Wie kommt der hoch geschätzte Innenminister Zohayds und zweite Sohn des Königs dazu, eine Geisel zu befreien?“
„Sehen Sie? Sie sind brillant. Immer treffen Sie den Nagel auf den Kopf. Im Grunde ist das die einzig interessante Frage. Und darauf gibt es nur eine einzige Antwort: weil ich niemand anderen mit dieser Aufgabe betrauen wollte. Ich musste es selbst tun. Und jetzt bin ich dankbar für die Umstände, die mich zu Ihnen geführt haben.“
„Aber sicher“, sagte sie belustigt. „Weil ich so etwas Besonderes und Zauberhaftes für Sie bin. Und weil unsere erste Begegnung so ungewöhnlich war, so einmalig. Ein Geschenk des Schicksals sozusagen – das ganze übliche Gefasel eben.“
Wie stur sie ist, dachte er bewundernd, und wie stolz!
Am liebsten hätte er sie auf der Stelle an sich gezogen, um sie ihre Ablehnung vergessen zu machen und ihre Sehnsucht neu zu wecken. Aber er wusste, dass der Schuss nach hinten losgehen würde. Inzwischen hatte er den Ernst der Lage begriffen, denn ihre Vorurteile mussten sehr tief sitzen.
Was konnte der Grund dafür sein, dass sie sich schier in einen Eisberg verwandelt hatte? Jetzt war Einfühlungsvermögen gefragt. Leicht würde es nicht werden. „Vor ein paar Minuten, als Sie noch nicht wussten, wer ich bin, waren wir noch Verbündete. Und jetzt benehmen Sie sich, als wären wir uns spinnefeind. Vorhin noch wären Sie mit allem einverstanden gewesen …“
Der ärgerliche Ausdruck wich nicht aus ihren Augen. „Klar“, sagte sie. „Sie hatten ja auch leichtes Spiel mit mir! Nachdem ich zuvor meinen Entführern ausgeliefert gewesen war, sind Sie mir natürlich als edler Ritter erschienen. Das wäre an meiner Stelle jedem so gegangen. Aber besonders klug sind Sie nicht. Es war ein Riesenfehler, mir zu sagen, wer Sie sind. Hätten Sie mich lieber in dem Glauben gelassen, dass Sie nur ein kleiner Fisch sind – einer von vielen sogenannten ‚Prinzen‘ mit nur wenigen Tropfen Aal-Shalaan-Blut. Als einer der Mächtigen sind Sie erst recht für die Untaten Ihrer Familie verantwortlich. Sie sind einer von denen, die ich bekämpfen will. Darum bin ich hier.“
Talia wartete, bis Hassan Aal Shalaan die volle Bedeutung ihrer Worte erfasst hatte.
Immerhin hatte sie es geschafft, dass er aufgehört hatte, so milde zu lächeln. Nun sah er sogar ziemlich grimmig aus.
Vergeblich versuchte sie, sich nicht davon beeindrucken zu lassen. Wenn sie nicht daran ersticken wollte, musste sie ihrer Enttäuschung Luft machen. Ihr Retter, ihr Held, der sein Leben für sie eingesetzt hatte, war ein Aal Shalaan! Und nicht irgendeiner. Nein, er gehörte zu den vier mächtigsten Männern des Landes. In seiner Position verfügte er möglicherweise sogar über mehr Macht als der König
Weitere Kostenlose Bücher