Oase der Versuchung
immer blieb sie nicht durchgehend bei Bewusstsein.
Schließlich legte er sie auf die breite Matratze, die mit einem feinen Laken bezogen war.
Als er sich zurückziehen wollte, stieß Talia einen Laut des Unbehagens aus: Offenbar konnte sie es nicht ertragen, von ihm getrennt zu sein.
Genau so erging es auch ihm.
Da kniete er sich neben sie und bedeckte sie vorsichtig mit seinem Körper.
Sie kuschelte sich an ihn, als könnte sie ihm nicht nah genug sein. Plötzlich erkannte Hassan, wie leer sein Leben bisher gewesen war. Aber Talia hatte diese Leere vollständig ausgefüllt.
Eine Zeit lang verharrte er so und genoss die Nähe zu ihr. Er zitterte mit, wenn sie erbebte, und atmete heftig, wenn sie Laute der Erschöpfung und Zufriedenheit von sich gab.
Als sie ruhiger wurde, gleichmäßiger atmete und ihre Anspannung nachließ, wusste Hassan, dass sie in einen erholsamen Schlaf gefallen war. – Nur konnte sich das jederzeit wieder ändern.
Eigentlich hatte Hassan zum Ältesten der Oase gehen und mit ihm sprechen wollen. Er hatte vorgehabt, ihn zu fragen, ob vielleicht noch vor dem drohenden Sandsturm Boten zu seinen Brüdern geschickt werden konnten. Aber um nichts in der Welt hätte er Talia allein gelassen. Für ihr Wohlergehen mussten sogar die Belange Zohayds zurückstehen.
Ehe sie nicht die Augen aufschlug und ihm zulächelte, würde er ihr nicht von der Seite weichen. Er würde warten, bis sie aufwachte.
Talia erwachte.
Die Lider fühlten sich an wie Sandpapier, und es dauerte eine Weile, bis sie ihre Umgebung klar wahrnahm. Sie lag, geborgen unter einem Moskitonetz aus cremeweißer Gaze, auf einem breiten Bett mit dem feinsten Linnen, das sie je berührt hatte. In der Luft hing ein angenehm würziger Geruch. Sie erinnerte sich, als wäre es Jahre her, einen Duft wie diesen in Zohayd oft gerochen zu haben. Er wurde mit kostbarem Räucherwerk erzeugt, das in erster Linie Moschus und Bernstein enthielt.
Durch eine reich mit Arabesken verzierte Deckenöffnung schien das Sonnenlicht herein.
Ihren Kopf konnte sie noch nicht drehen. Doch sie störte sich nicht weiter daran, denn es gab auch auf dieser Seite genug zu betrachten. In der Wand aus Ziegelsteinen befanden sich eine Tür aus Palmenholz und ein Fenster mit Läden. Auf dem Steinfußboden lagen kostbare handgewebte Teppiche in wunderschönen Farben. Sogar zwei aus Schilf geflochtene Diwane mit vielen bunten Kissen gab es in dem Raum. Öllampen und Räuchergefäße waren aus Bronze gefertigt und sorgfältig poliert.
Eine unbekannte Welt? Eine andere Zeit?
Leider war ihr gerade entfallen, wo sie war. Aber immerhin wusste sie, dass sie schon einige Male so etwas wie wach gewesen war. Allmählich fiel ihr immer mehr ein. Bis sich die einzelnen Bruchstücke schließlich zu einem Mosaik zusammenfügten und sie sich wieder an alles erinnerte.
Hassan war auf einem Schimmel zurückgekommen. Ihr Wüstenritter hatte sie gerettet – zusammen mit weiteren Männern. Aber da war sie schon dem Verdursten nahe gewesen.
Kein Wunder, dass sie an Wahrnehmungsstörungen gelitten hatte und auch jetzt noch etwas verwirrt war. Nur an einem gab es keinen Zweifel: an Hassan. Er hatte für sie gesorgt und sie gesund gepflegt – und dabei sehr ängstlich und mitgenommen ausgesehen, das wusste sie gleich wieder.
„Bist du jetzt richtig wach, ya habibati ?“, fragte er.
Sie drehte sich auf die andere Seite, wo er saß, ein Bein angewinkelt. Wegen seiner Körpergröße und weil ihr Bett so niedrig war, überragte er sie leicht. Er trug einen weißen weiten Umhang, der abaya genannt wurde.
Talia blieb fast die Luft weg. So sah er in der typischen Kleidung seines Landes aus! Sie war wie für ihn geschaffen. Königlich hatte er schon immer gewirkt, aber nun … einfach atemberaubend! Ein Urbild an Männlichkeit und Schönheit. Seufzend schloss sie die Augen, um dieses Bild noch ein wenig länger auf sich wirken zu lassen. Als sie sie wieder öffnete, stand Hassan gerade auf. Wie immer konnte Talia kaum glauben, dass ein so großer und kräftiger Mann sich so gewandt, ja anmutig bewegte.
Er schob das Moskitonetz zur Seite, und die abaya klaffte etwas auf. Zu Talias Überraschung war darunter sein bronzefarbener Oberkörper – abgesehen von den Verbänden – unbekleidet.
Hier an seiner Brust hatte sie vor den Gefahren Schutz gesucht und sich erschöpft ausgeruht. Hier war ihr Zufluchtsort und ihr sicherer Hafen. Hier hatte sich ihr Albtraum in einen Traum verwandelt,
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