Oase der Versuchung
und sagte nur: „ Ana aassef, ya nadda jannati. Ich fühle mit dir.“
Wie jeden Abend legten sie sich schlafen, und als Talia ihn im Nebenzimmer hörte, begriff sie etwas.
Warum habe ich nie versucht, eine feste Beziehung aufzubauen, fragte sie sich. Es muss daran liegen, dass der Ehe meiner Eltern doch nichts das Wasser reichen kann. Welche Beziehung kann sich damit schon messen?
Darum war sie bisher lieber allein geblieben.
Doch jetzt hatte sie Hassan …
„Ist ja … riesig!“, rief Talia.
Hassan schmiegte sich von hinten an sie und flüsterte: „Ja, allerdings.“
Talia lehnte sich an ihn und ließ den Blick über el waha schweifen, die Oase, die sich unter ihnen ausdehnte. Vier ganze Tage hatte es gedauert, sie zu umreiten.
Jetzt saßen sie auf reeh , Sturmwind, dem herrlichen Schimmel, auf dem Hassan ihr zu Hilfe gekommen war, und ließen von einem Felsen aus das eindrucksvolle Panorama auf sich wirken.
Inmitten der unfruchtbaren Wüste lag dieses Kleinod – eine grüne Insel der Fruchtbarkeit und des Wachstums. Dattelpalmen, Ölbäume, Wildblumen und Kakteen wuchsen in Hülle und Fülle. Außerdem wurden Obst und Gemüse angebaut, vor allem Feigen, Aprikosen und Mais. Viele zahme Tiere lebten in der Oase: Pferde, Kamele, Schafe und Ziegen. Doch auch Hirsche und Füchse. Talia hatte viele von ihnen gestreichelt. Selbst Vögel und sogar Eidechsen hatten sich von ihr füttern lassen.
„Riesig ist sogar noch untertrieben“, verbesserte sich Talia.
Hassan lächelte, löste die Umarmung und stieg vom Pferd. Dann hob er Talia mühelos herunter. Sein Blick und seine Berührungen verrieten, wie sehr er sie mochte.
„In der Ebene kann man ungefähr fünf Kilometer weit sehen, und von hier oben natürlich noch viel weiter. Wir befinden uns auf einer Höhe von neunhundert Metern, das bedeutet eine Fernsicht von etwa dreißig Kilometern. Auch an ihrer schmalsten Stelle ist die Oase breiter. Darum wirkt sie auf uns im Moment endlos“, erklärte Hassan.
„Hast du mal daran gedacht, Fremdenführer zu werden?“, fragte Talia und lächelte. „Wenn eines Tages Prinzen nicht mehr gefragt sind …“ Sofort biss sie sich auf die Zunge. Vor dem Hintergrund einer möglichen Verschwörung gegen den Thron war diese Bemerkung nicht lustig.
Aber Hassan lachte nur wie über einen guten Witz und gab ihr damit zu verstehen, dass er es ihr nicht übelnahm.
„Jedenfalls wird mir immer klarer, was für ein Paradies diese Oase ist“, sagte Talia.
„Also hat es sich gelohnt, dass ich dich unter solchen Strapazen hergebracht habe?“, fragte er.
„So ausgedörrt, wie ich war, wäre mir alles recht gewesen. Aber hier ist es nicht nur wunderschön, ich mag auch die Menschen. Sie sind freundlich, lebensklug …“
Den Hauptgrund, warum sie sich hier so gern aufhielt, hatte sie allerdings nicht erwähnt: ihren Begleiter.
Während eines atemberaubenden Sonnenuntergangs führten sie reeh zu einer frischen Quelle im Schatten von Palmen. Die Luft roch nach süßen Blüten und warmer Erde.
„Wie schön wäre es, wenn wir für immer hierbleiben könnten“, sagte Talia. Nur müsste Todd auch hier sein, fügte sie im Stillen hinzu, oder zumindest aus dem Gefängnis befreit …
Hassan legte einen Teppich aus. „Würdest du nicht verrückt werden – ohne die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation?“
Talia ließ sich auf den Teppich sinken und zog den Picknickkorb heran. „Natürlich würde mir manches schon fehlen, eine heiße Dusche zum Beispiel. Oder das Internet … Bestimmt auch noch ein paar andere Dinge, aber im Moment fällt mir nicht mehr ein.“
„Und dein Beruf?“, fragte Hassan, während er die Gläser auspackte.
„Den könnte ich hier auch ausüben. Vielleicht könnte ich auf Dauer hier sogar mehr Gutes tun.“
Hassan führte ihr ein Stück Aprikose an die Lippen. „Aber ich kenne dich als vielschichtige Persönlichkeit, ya nadda jannati . Niemand weiß besser als ich, wie zäh du bist. Doch selbst wenn du auf Komfort durchaus verzichten kannst – auf Herausforderungen nicht. Und ob du die finden würdest, weiß ich nicht.“
Sie nickte. „Mag sein. Aber gerade die Einfachheit und Ruhe gefallen mir hier besonders gut. Mir erscheint so ein Leben normal – und nicht die Hektik des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Wenn es nach mir ginge, würde ich hier leben und in der Zivilisation Urlaub machen – und nicht umgekehrt.“
„Und es wird nach dir gehen“, sagte er, und es klang wie ein
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