Oase der Versuchung
bis er nickte. Dann fuhr sie fort: „Ich habe mir überlegt, dass ich, wenn ich eine zweite Chance bekomme, sehr viel mehr nach meinen eigenen Wünschen leben werde. Allen Abwägungen zum Trotz. Und ganz egal, welche Hindernisse vielleicht im Wege stehen … Dann hast du mich gerettet. Und seitdem … habe ich mich nicht getraut.“
Ernst und schweigend sah er sie an. Sie wusste, dass er um keine Erklärung bitten, nicht nachfragen würde.
Aber es änderte nichts. Sie liebte ihn. Von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Ihre Liebe war in gemeinsam bestandener Gefahr gewachsen und durch gegenseitiges Vertrauen gestärkt worden.
Noch länger würde sie nicht damit hinter dem Berg halten.
Sie erhob sich vom Diwan und ging langsam auf Hassan zu. Dicht vor ihm blieb sie stehen und sah zu ihm auf, sah in seine Augen, die ihr alles bedeuteten. Dann wagte sie es. „Du hast einmal gesagt, du würdest nie etwas tun, ohne dass ich dich dazu auffordere oder darum bitte. – Hier stehe ich, Hassan, und bitte darum. Ich will dich. Mehr als alles auf der Welt.“
10. KAPITEL
Welche Versuchung! dachte Hassan. Unwiderstehlich und zum Sterben schön.
Sie stand vor ihm: die junge Frau mit dem goldenen Haar, die in sein Leben eingedrungen war und von seinem Denken und Fühlen völlig Besitz ergriffen hatte.
Sie bot sich ihm dar – mit allem, was sie hatte. Beinahe schmerzhaft empfand er das Allumfassende ihres Angebots. Es ging nicht nur um vergängliche Freuden, es ging um ihre gesamte Persönlichkeit.
Wenn er jetzt einen Schritt auf sie zu machte, nahm er dieses Angebot an. Was aber, wenn er im Gegenzug nicht alles geben konnte?
Dabei gehörte er ihr schon seit Langem – als Mensch und als Mann. Seit der ersten Nacht in der Wüste, im Helikopter, als sie einander so nahe gekommen waren, wie zwei Menschen es nur konnten. Damals schon war ihre tiefe seelische Verbundenheit deutlich geworden.
Wenn er eine Zeit lang gefürchtet hatte, dass womöglich nur die gemeinsam überstandene Gefahr der Grund dafür wäre, war er die letzten zehn Tage eines Besseren belehrt worden.
Abgesehen davon, dass ihr Mut ihm Ehrfurcht eingeflößt hatte, dass sie sich behauptet und ihm zur Seite gestanden hatte – jede Minute hier in der Oase erfreute sie ihn.
Trotz der Sprachbarriere war sie sofort zum Liebling der Einwohner geworden.
Am Tag nach dem Fest hatte sie eine Praxis eröffnet und ihre Dienste angeboten, hatte sich aber bewusst auf den Kernbereich ihrer ärztlichen Tätigkeit beschränkt, um nicht in das traditionelle Heilwesen der Oase einzugreifen.
Nachdem der erste Tag ziemlich ruhig verlaufen war, war sie zu einer schwierigen Geburt gerufen worden und hatte die Mutter und die beiden Kinder retten können. Seitdem war sie regelrecht berühmt. Von morgens bis abends strömten die Menschen nur so in die Praxis, und Hassan als Assistent musste oft mahnen, dass die Ärztin Ruhe brauchte.
Nun bewies sie, dass sie tatsächlich so genügsam war, wie sie behauptet hatte. Es stimmte, dass sie auch unter schwierigen Bedingungen klarkam. Sie konnte nicht nur heilen, sondern auch kämpfen und sich für andere einsetzen – genau wie er selbst. Sie waren Seelenverwandte. Er wollte, ja musste mit ihr zusammen sein – ein Leben lang. Darüber gab es längst keinen Zweifel mehr: Hassan, der Mann, gehörte ihr.
Und obwohl Hassan, der Prinz, vielerlei Rücksichten nehmen musste, hätte ihn das nicht gehindert, ihr seine Liebe zu gestehen. Etwas anderes stand im Wege: ihr Vorbehalt gegen seine Familie. Wenn es stimmte, was sie sagte, hatte sie guten Grund. Wenn sie den Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wollte …
Was, wenn ich es aus irgendeinem Grund nicht schaffe, ihren Bruder freizubekommen? überlegte Hassan weiter. Wie soll ich sie da lieben?
Trotz der inneren Unruhe konnte er sich nicht bewegen. Talia schloss die Augen, und er sah Tränen durch die Wimpern schimmern.
Als sie ihn mit ihren blauen Augen ansah, zerriss es ihm fast das Herz.
„Ich dachte, du willst mich auch …“, sagte sie kleinlaut.
So geht das nicht! Elal jaheem mit den Hindernissen! Ich räume sie aus dem Weg!
Schluchzend wandte sie sich ab.
Hassan ergriff ihre Hand und legte sie auf sein pochendes Herz.
Es tat weh, sehr weh, als Talia sagte: „Vergiss, dass ich dich in diese Lage gebracht habe. Zwischen uns gibt es zu viele ungelöste Probleme. Vielleicht hast du ja auch einfach nur so mit mir geflirtet, ohne weiter gehende Absichten, und
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