Oase der Versuchung
sie systematisch benutzt. Pflicht und Familie hatten ihm mehr bedeutet als sie. Aber dafür konnte die Familie nichts, und ganz Zohayd erst recht nichts.
Nein, Rache kam nicht infrage.
Lieber würde sie sich irgendwo vor der Welt verkriechen, um nie wieder in dieses Land zurückzukehren, wo sie ihr Herz und ihr Vertrauen für immer verloren hatte.
Nur eines wollte sie noch wissen: „Was ist mit Todd?“
„In diesem Moment wird er freigelassen.“
Das stimmte. Wenigstens so viel sah sie noch in seinen Augen. Oder redete sie es sich nur ein – wie sie sich offenbar alles zwischen ihnen eingeredet hatte?
Nun sollte er erfahren, was ihm so wichtig war. „Der Kopf der Verschwörung ist Yusuf Aal Waaked, der Prinz von Ossaylan.“ Sie wollte nur noch so schnell wie möglich weg von hier.
„Ich weiß.“
Woher?
Dafür gab es nur eine Erklärung: Er musste ihr Telefon abgehört haben.
Offensichtlich hatte er all das von Anfang an geplant. Er hatte in ihr gelesen wie in einem offenen Buch und kannte sie wie niemand sonst. Daher hatte er gewusst, dass er ihr den Kontakt zu ihrem Informanten nur zu verbieten brauchte, damit sie ihn garantiert anrief.
Und nun, da sie ihm nichts mehr nützte, konnte er sie gar nicht schnell genug loswerden.
Ergab diese Vorstellung nicht eher einen Sinn als die vom mächtigen Prinzen, der sich Hals über Kopf in sie verliebt hatte?
Aus dieser neuen Perspektive betrachtet, lösten sich die vergangenen zwanzig glücklichen Tage buchstäblich in Nichts auf.
Wie demütigend, dass sie an diese Beziehung geglaubt hatte! Sie hatte das Gefühl, an ihrem Schmerz zu ersticken.
„So? Na ja, immerhin kannst du nun nicht behaupten, ich hätte mich für Todds Entlassung aus dem Gefängnis nicht revanchiert. Jetzt, da ich das erreicht habe, kann ich ja aus diesem gottverlassenen Land abreisen.“
Diesmal ließ der Ausdruck in seinen Augen keinen Zweifel mehr zu: Hassan war schockiert.
Was hatte er auch erwartet? Dass sie unterwürfig darum bitten würde, hierbleiben zu dürfen? Zu weitaus ungünstigeren Bedingungen, die er bestimmte?
Bevor er etwas sagen konnte, streckte Amjad den Kopf zur Tür herein. „Warum dauert das so lange?“
Ohne auf seinen Bruder zu achten, schüttelte Hassan langsam und ungläubig den Kopf.
Er stand da, und in ihm schienen eine Vielzahl verschiedenster Gefühle miteinander zu kämpfen, aber Talia wurde das alles zu viel. Sie ging an ihm vorbei aus dem Zimmer.
Draußen wartete Amjad. In einer makellosen Sportjacke lehnte er lässig an der Wand. „Viele Grüße an Ihren Bruder. Zu so einer Schwester kann man einem Mann nur gratulieren.“
Talia wollte fragen, wie er das meinte, brachte aber keinen Ton heraus. Als wäre etwas in ihr zu Eis erstarrt, ließ sie Amjad stehen.
In der Limousine sprachen Hassan und sie kein Wort. Sie fuhren zum Privatflughafen, auf dem sie erst vor wenigen Stunden gelandet waren. Was hatte sich in dieser kurzen Zeit doch alles verändert!
Noch ehe der Wagen zum Stillstand kam, sprang Hassan heraus, um ihr beim Aussteigen zu helfen und sie zu der großen Boeing 737 zu begleiten, die wie ein riesiger silberner Vogel auf sie wartete.
Äußerlich wirkte Hassan völlig selbstbeherrscht, aber Talia spürte ganz deutlich, wie aufgewühlt er war.
Auf den Stufen wandte er sich ihr zu. In ihm schien ein Sturm zu toben, das sah sie in seinen Augen. „Was war das vorhin im Palast?“, fragte er. Auch die Stimme verriet einen wilden Gefühlsaufruhr.
Talia geriet ins Nachdenken.
Stopp! Ich muss aufhören, ständig edle und gute Eigenschaften in ihn hineinzuprojizieren. Schließlich habe ich genug gehört. Worauf warte ich eigentlich noch? Dass er es mir ins Gesicht sagt?
Das würde sie nicht überleben. Schluss damit.
Sie zuckte die Schultern und wandte sich zum Gehen.
Aber Hassan hielt sie an der Hand fest. „Wie hast du das gemeint? Hast du mich etwa nur benutzt, um deinen Bruder freizubekommen?“
Wieso klang die Frage in ihren Ohren so … ehrlich? Wieso wünschte sie noch immer, ihm in die Arme zu sinken?
Ghabeyah , wie ihr Informant sie genannt hatte. Dummkopf.
Er sollte nicht sehen, wie sie weinte. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht verschaffen. Sie fühlte sich so hilflos, weil sie sich so tief in die Beziehung mit ihm verstrickt hatte. Nur jetzt nicht klein beigeben … „Ich bin ganz schön weit gegangen, nur damit du dabei hilfst, die Unschuld eines unschuldigen Mannes zu beweisen. Findest du nicht?“
Er schwieg
Weitere Kostenlose Bücher