Oase der Versuchung
und sah sie lange nachdenklich an. Dann sagte er: „Ich bin viel weiter gegangen, indem ich einem schuldigen Mann geholfen habe, ungestraft davonzukommen.“
Talia verstand nicht gleich. Als sie zu begreifen begann, setzte Hassan hinzu: „Oder ist Betrug in deiner Familie an der Tagesordnung?“
„Nicht einmal von dir hätte ich gedacht, dass du so etwas sagst.“
„Was soll das heißen? Nicht einmal von mir …“
Plötzlich wusste sie nur, dass sie all das nicht länger aushielt. Sie griff nach dem Geländer.
Aber wieder hielt Hassan sie fest. Und dieses Mal las sie in seinen Augen nackte Verzweiflung. Redete sie sich das wirklich nur ein? Warum tat es nach alldem immer noch so weh?
„Was willst du?“, fragte sie. „Ist dein Ego angekratzt? Du willst, dass ich gehe, aber dabei bitte, bleiben zu dürfen? Oder möchtest du noch einmal für Todds Freilassung bezahlt werden? Vielleicht hier an Bord des Jets?“
Entsetzt sah er sie an. Dann klingelte sein Handy, und er sah an sich hinab, als wüsste er nicht, woher der Ton kam.
Talia riss sich los und rannte die Stufen hinauf bis ganz nach hinten in die Boeing. Sobald eine Flugbegleiterin sie nach ihren Wünschen fragte, bat sie, in Ruhe gelassen zu werden. Sie wollte nichts.
Nur mit ihrem Schmerz allein sein.
So flog sie nach Hause – obwohl sie sich für immer heimatlos fühlen würde.
Erschöpft ließ sich Talia gegen die Tür sinken, die sie gerade hinter sich zugemacht hatte.
„Talia! Du hast es geschafft!“
Todd.
Mit Tränen in den Augen kam er auf sie zu und umarmte sie.
Er war jetzt schon hier? So früh?
Todd trat einen Schritt zurück und betrachtete sie mit Augen, die den ihren unglaublich ähnelten. „Wie hast du das nur gemacht? Von Mark wusste ich, dass du es probieren wolltest. Aber ich hätte nie zu hoffen gewagt, dass es klappt.“
Beinahe hätte sie gesagt: Ich habe meine Seele dem Teufel verkauft. Nur stimmte das nicht. Sie hatte sich aus eigener freier Entscheidung mit ebendiesem Teufel eingelassen.
Und jetzt war Todd tatsächlich frei!
Doch leider konnte sie im Moment keine weitere Aufregung ertragen. Und auch die Nähe ihres Bruders, den sie immer als einen Teil ihrer selbst empfunden hatte, war ihr zu viel. Ihre Nerven lagen blank.
Darum zuckte sie nur mit den Schultern. „Spielt doch keine Rolle, wie ich es gemacht habe. Wichtig ist nur, dass du frei und von den Vorwürfen entlastet bist.“
„Sag doch so etwas nicht! Wenn du wegen mir in Schwierigkeiten warst, möchte ich es schon wissen.“
„Es zählt doch nur, dass du jetzt wieder etwas mit deinem Leben anfangen kannst.“
„Oje, du hast etwas Schlimmes hinter dir, stimmt’s?“ Aufgeregt fasste er sie an den Schultern. „Bitte mach es rückgängig! Ich gehe freiwillig wieder ins Gefängnis und verbüße den Rest meiner Strafe.“
„Schon gut, Todd. Ich komme damit zurecht.“
Doch Todd kannte sie zu gut. Tränen liefen ihm über das Gesicht, als er sagte: „Talia, mach alles rückgängig. Ich bin es nicht wert.“
„Na, hör mal! Du bist mein Bruder, sogar mein Zwillingsbruder. Und du bist unschuldig.“
„Bin ich nicht. Das ist es ja …“
Fassungslos sah sie ihn an.
„Ich habe all die Verbrechen begangen, für die ich angeklagt wurde“, gestand er. „Eines Tages habe ich an Ghadas Computer etwas repariert. Sie und ich sind einfach nur gute Bekannte. Dabei bin ich auf etliche Konten und Daten gestoßen, zu denen ich mir Zugang verschafft habe. Die Liebesgeschichte mit Ghada habe ich mir nur ausgedacht, damit du mir hilfst. Wahr ist, dass ich Millionen veruntreut und geheime Daten verkauft habe. Nachweisen konnte man mir längst nicht alles.“
Er holte tief Atem und fuhr fort: „Natürlich wollte ich dir das nicht sagen. Zum einen habe ich mich geschämt, zum anderen war ich auf deine Hilfe angewiesen. Wer sonst hätte mich aus diesem Albtraum retten sollen? – Aber ich habe es nicht verdient, dass du einen so hohen Preis für meine Freiheit bezahlt hast. Ich kann nur hoffen, dass du mir eines Tages vergibst.“
Entgeistert starrte sie ihn an. Also war alles eine einzige Lüge!
Die zwei Männer, die sie über alles liebte, hatten sie beide nur für ihre Zwecke benutzt. Sie riss sich von Todd los.
Er schluchzte, als sie sich von ihm abwandte.
Sie wollte in ihr Zimmer, um sich dort einzuschließen. Doch vorher drehte sie sich noch einmal um. „Sieh zu, dass du nie wieder in Schwierigkeiten kommst. Ich habe nichts mehr, womit ich dir
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