Ob das wohl gutgeht...
mindestens einem Dutzend Patienten zu plaudern, die sich offenbar damit abgefunden hatten, ihr Leben lang auf den Wartebänken zu sitzen, die die Abteilung für Psychiatrie für ihre ambulanten Patienten in den Gängen bereitgestellt hatte.
Als wir schließlich in seine Zelle zurückgekehrt waren, setzte Toby sich auf den Drehstuhl an den Schreibtisch und zog mit dem Ellenbogen einen Faltstuhl für mich herbei. Dann telefonierte er mit seiner Frau in Esher, um festzustellen, ob das öl für die Zentralheizung inzwischen geliefert worden war.
Als er den Hörer hingelegt hatte, sah ich auf meine Uhr und sagte: »Werden wir heute noch einige von den Irren sehen?«
Toby antwortete mir nicht. Er drehte seinen Füllhalter wieder Zu, den er eben geöffnet hatte, legte ihn ordentlich auf das unbeschriebene Blatt Papier vor sich, stand auf und ging zum Fenster. Zu den Sauerstoff-Flaschen im Hof gewandt, sagte er:
»Jeder Mensch zeigt gegenüber körperlich Kranken einen natürlichen Respekt. Wenn wir jemand sehen, der von einer Lähmung befallen ist, oder der verletzt ist, empfinden wir instinktiv Mitleid, haben den Wunsch, zu helfen und zu trösten, soweit wir das können. Kranke oder verletzte Menschen sprechen unsere Gefühle an. Aber auch unseren Sinn für soziale Verantwortung. Doch hat der Mensch nicht immer so empfunden. Es ist noch gar nicht lange her, daß einem Mann geraten wurde, seine kranken Angehörigen zu verlassen, oder daß er den Wunsch äußern konnte, sie von ihrem Leiden durch Verbrennen zu erlösen.«
Ich betrachtete meine Fingernägel und wünschte, daß endlich die Patienten kämen, da der Nachmittag sonst nutzlos vertan wäre.
Toby fuhr fort: »Eine solche Haltung erscheint uns heute höchst barbarisch, gefühllos und unmenschlich - aber es ist nicht mehr als siebenhundert Jahre her, daß man so handelte -, eine winzige Spanne in der Geschichte der Menschheit.«
Ich war nicht gekommen, um eine Vorlesung über Geschichte anzuhören.
Toby kam zu meinem Stuhl und stand nahe bei mir, so daß mein Gesicht ungefähr in Höhe seines Bauches war.
»Wir benützen den Ausdruck >Irrer< nicht mehr...«
»Ich habe doch nur gescherzt!«
»...hier gibt es nichts zu scherzen.« Er war wirklich verärgert. »Das verrät anscheinend dieselbe Attitüde der Verachtung, von Angst und Spott, oder zum wenigsten von gnädiger Herablassung, wie sie früher den körperlich Kranken entgegengebracht wurde, mein Freund, aber das Wort >Geisteskrankheit< beinhaltet nicht diese Ablehnung wie >Irrsinn<.«
Ich öffnete den Mund, um mich zu entschuldigen, aber Toby war noch nicht fertig. Er deutete zur Tür. »Diese Leute, die du gesehen hast, sind krank. Sie sind genauso krank wie deine Krebskranken, deine Magenkranken und Lungenkranken. Sie durchleben jeden Grad der Verwirrung ihrer Gefühle, Ansichten, ihrer Verstandes- und Willenskraft. Sie sind ängstlich, nervös, unglücklich, verwirrt. Es fehlt ihnen, schlicht gesagt, an einer geistigen Entwicklung, sie können die steigenden Anforderungen, die die Gesellschaft an sie stellt, nicht erfüllen, weil eine völlige Unzulänglichkeit ihrer Person oder andere gewaltsame Störungen, welche du zweifellos heute nachmittag hier zu sehen erwartet hast, sie daran hindern. Hier gibt es keine >Irren< oder >Verrückten<, es gibt nur >Menschen< mit jenem Leiden, das wir, da wir kein besseres Wort dafür gefunden haben, Geisteskrankheit nennen. Früher wären sie verbrannt, gefoltert oder gefangengehalten worden. Und sie werden auch heute noch allzu oft«, er sah mich an, »von den sogenannten Normalen vernachlässigt, abgewiesen oder mit Gleichgültigkeit behandelt, sogar von Angehörigen des ärztlichen Berufs. Jeder von uns muß seinen Kompromiß mit der Wirklichkeit schließen. Diese Menschen haben durchweg Schwierigkeiten, ihre Hoffnungen, Wünsche und Ängste einerseits und ihre tatsächliche Lebenserfahrung andrerseits auf vernünftige Weise in Einklang zu bringen. Sie sind entweder aggressiv gegen das Leben überhaupt eingestellt oder passiv dumpf in ihrer Unfähigkeit, es zu akzeptieren. Dies sind die Patienten, mit denen, wie du feststellen wirst, der Psychiater zu tun hat.«
Trotz meiner langjährigen ärztlichen Erfahrung begann ich mich wie ein Student im ersten Semester zu fühlen.
Toby schaltete die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch ein und sagte: »Schicke Mr. Flipping herein, Schatz.«
Er war der erste einer endlosen Prozession, die während der nächsten
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