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Ob das wohl gutgeht...

Ob das wohl gutgeht...

Titel: Ob das wohl gutgeht... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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dem Teilgebiet der Medizin, welches sich mit dem Einfluß der seelischen Verfassung auf Gesundheit und Krankheit befaßt, einschließlich der Geisteskrankheiten in ihren verschiedenen Formen.«
    »So ein Unfug, Mann.«
    »Wie bitte?«
    »Psychiatrie...« - er nahm eines jener Bonbons, die wir als Kinder »Wurmbonbons« genannt hatten, aus dem Paket, runde Dinger mit winzigen blauen und rosa Zuckerstreuseln, und legte es angeekelt zurück. Ich mochte diese übrigens auch nicht. »Schweinefutter!«
    »Die Folgerungen aus der psychologischen Medizin sind«, fuhr ich fort und schob die Lakritzenschachtel beiseite, die nur noch ein paar Verschmähte enthielt, »von außerordentlicher Wichtigkeit auch für die Tätigkeit des praktischen Arztes.«
    »Die wollen damit bloß die Ärzte traktieren, Mann!«
    »...ich war noch nicht zu Ende. Ich wollte auch die Patienten und die gesamte Öffentlichkeit mit einschließen. Die Aufgabe des Arztes ist es, Gesundheit und Lebensfreude bei einem kranken Menschen wiederherzustellen und mit der Vorbeugung von Krankheit zu verhüten, daß Unzufriedenheit unter denjenigen ausbricht, die noch wohlauf sind. Habe ich recht?«
    »Jawohl.«
    »Der Psychiater als Arzt mit besonderem Interesse am emotionalen und seelischen Aspekt einer körperlichen Erkrankung hat mit der menschlichen Existenz als einem Ganzen zu tun.«
    »So ein Mist!«
    »Fred, manchmal sind Sie wirklich unausstehlich, engstirnig und ungezogen.«
    Er erhob sich und lehnte sich gegen den Kaminsims, wie er das oft tat.
    »Hören Sie zu, Väterchen, haben Sie jemals den Fuß in eine Klapsmühle gesetzt?«
    Ich gab keine Antwort.
    »Sie kennen doch hoffentlich die außergewöhnlichen Verse, Bilder, Zeichnungen und Skulpturen, die in diesen Anstalten entstehen? Dies alles, Mann, drückt doch Erfahrungen im Gefühlsleben der Patienten aus, welche gerade jenen Konflikten und Enttäuschungen entstammen, die Sie zu beseitigen sich anschicken.«
    »Nun mal sachte, ich habe bis jetzt erst einen Nachmittag im Krankenhaus gearbeitet und dort noch nicht einmal den Mund aufgemacht.«
    »Beantworten Sie mir trotzdem dies, Mann«, sagte er, meinen Einwurf ignorierend. »Wo wären wir, wenn wir Leonardo in die Klapsmühle gesteckt hätten, wenn wir Shakespeare Beruhigungs- oder Dickens Aufmunterungspillen gegeben hätten? Beseitige den Konflikt, und du kastrierst den Künstler. Beddoes, Blake, Boswell, Bunyan, Burns, Byron, Chatterton, Clare, Coleridge, Collins, Cowper, Crabbe, De Quincey, Dickens, Donne, Gray, Johnson, Lamb, Rossetti, Ruskin, Shelley, Smart, Swift, Swinburne, Tennyson... alles nur verwirrte Geister mit Grillen im Kopf! Und was ist mit Baudelaire, Dostojewski, Flaubert, Goethe, Gogol, Nietzsche, Poe, Rimbaud, Rousseau, Strindberg...?«
    Hatte ich etwa gesagt, er sei ungebildet?
    »...Swedenborg, Verlaine... Im Moment fällt mir niemand mehr ein.«
    »Sie haben recht.« Ich vergab ihm die Lakritzenbonbons. »Aber müssen wir nicht dem einfachen Menschen helfen? Mr. Brown, der nicht schlafen kann...«
    »Dr. Johnson konnte auch nicht schlafen.«
    »Mr. Jones, der unter Depressionen leidet.«
    »Dickens litt ebenfalls darunter. Stecken Sie ihn in eine Anstalt und füttern Sie ihn mit Pillen, sobald er seufzt, dann hätten wir keinen Nicholas Nickleby, keinen Oliver Twist, keine Pickwick-Papers...«
    Der hochgebildete Fred!
    »...diese Leute, Mann, litten unter ebenso starken Spannungen wie die heutigen Menschen. Wir haben sie nicht erst erfunden, Mann. Sie saßen trotzdem nicht stundenlang in der Abteilung für Psychiatrie oder lagen an fünf Tagen in der Woche für fünf Guineen pro Besuch auf der Couch des Analytikers; sie rannten weder zum Arzt noch zum Priester, sondern blieben zu Hause und malten, bildhauerten oder schrieben oder komponierten, je nach ihrer Begabung. Manchmal waren ihre Spannungen unerträglich, inspirierend und schöpferisch. Wir haben einen Namen dafür: das Genie. Psychiatrischer Assistent! Sie helfen an einer Genie-Abtreibungsklinik! Lassen Sie ihnen ihre Spannungen und Enttäuschungen, Mann; nur lenken Sie sie richtig.«
    Sprachlos reichte ich Fred den Rest der Lakritzenbonbons. Ich war zu sehr beeindruckt von dem, was er eben gesagt hatte, und nicht beschlagen genug, um ihm aus meiner mangelnden Erfahrung
    heraus die richtige Antwort geben zu können. Ich wollte ihm nicht erzählen, daß wir es an einem Nachmittag fertiggebracht hatten, Mr. Flipping davon zu überzeugen, daß das Leben lebenswert sei;

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