Obduktion
befand sich eine weitere Tür, die ebenfalls nur angelehnt war. Er blieb auf der Schwelle stehen und klopfte kräftig an den Türrahmen.
»Aha!«, sagte Shawn, der sogleich aufsprang. »Das ist doch mal ein erfreulicher Anblick. Wie zum Teufel geht es dir?«
Mit ausgestreckter Hand ging er auf Jack zu.
»Ich habe deine Nachricht bekommen«, fügte er lachend hinzu. »Ich freue mich so sehr, dass du vorbeigekommen bist. Und schau mal einer an, du siehst genauso durchtrainiert aus wie beim letzten Mal, als wir uns sahen. Wie machst du das nur?«
»Hauptsächlich Streetbasketball«, sagte Jack, der fand, dass Shawn ein bisschen zu überschwänglich war.
»Ich sollte mir daran ein Beispiel nehmen, mein Freund«, sagte Shawn. Er lehnte sich zurück und klopfte sich auf seinen herausgestreckten Bauch, als wäre er stolz darauf.
»Wie lange haben wir uns jetzt schon nicht mehr gesehen?«
»Ich weiß es nicht genau«, gab Jack zu. Er sah sich in dem großen Zimmer mit Blick auf die Fifth Avenue um. Eine Vielzahl von frühchristlichen Kunstgegenständen stand auf einem rechteckigen Tisch in der Mitte des Raumes. An der einen Wand befand sich ein riesiges Bücherregal, das mit einer beeindruckenden Sammlung von Kunstbüchern gefüllt war. Vor der anderen Wand stand ein großes, dunkelgrünes Ledersofa.
»Wunderschönes Büro«, sagte Jack und dachte an sein eigenes kleines Kabuff.
»Bevor ich weiterrede«, fing Shawn an, »möchte ich dir
dafür danken, dass du bereit bist, mir in dieser Angelegenheit zu helfen. Es gibt viele Gründe, warum mir das so viel bedeutet, aber der wichtigste ist zugegebenermaßen, dass dieser außergewöhnliche Fund mir zu einem echten Karrieresprung verhelfen wird.«
»Ich helfe doch gern«, sagte Jack, der sich fragte, was Shawn wohl davon halten würde, wenn er wüsste, dass er es nicht nur für ihn, sondern auch für sich tat. Die Teilnahme an Shawns Projekt war tausendmal spannender als seine Forschungen zur Alternativmedizin, deren Ergebnisse sowieso niemand hören wollte.
»Also, wie sieht’s aus? Hast du deinen Chef gefragt, ob wir das Labor benutzen dürfen?«
»Hab ich. Kein Problem. Du und deine Frau müsst einen umfassenden Haftungsausschluss unterschreiben, aber mehr auch nicht. Von Geld war nicht die Rede.«
Shawn klatschte so laut in die Hände, dass Jack kurz zusammenzuckte. »Alles klar!«, sagte er, legte die Handflächen aneinander, schloss die Augen und sah zur Decke hinauf, so als würde er beten. Dann lehnte er sich auf einmal nach vorne und machte ein ernstes Gesicht. »Jack«, sagte er, »ich freue mich wirklich sehr, dass du uns die Erlaubnis besorgt hast, das OCME-Labor zu nutzen, aber um eins muss ich dich bitten. Ein wichtiges Thema und etwas, was Seine ach so heilige Heiligkeit auch schon erwähnt hat, wie er sagt. Ich möchte dich noch einmal darauf hinweisen, dass dieses ganze Projekt absolut geheim bleiben muss, vor allem der Teil, der die Jungfrau Maria betrifft. Ist das okay für dich? Wenn in dem Ossuarium das ist, was wir erwarten, wollen wir das erst preisgeben, nachdem wir unsere Experimente vollständig abgeschlossen haben. Ich möchte mir hundertprozentig sicher sein, bevor ich es bekannt gebe.«
»Ja, James hat das sehr deutlich gemacht. Ich glaube
sogar, ihm ist es noch wichtiger als dir. Ist dir klar, dass er Himmel und Hölle in Bewegung setzen wird, um dich daran zu hindern, etwas über den Zusammenhang zwischen Maria und den Knochen zu veröffentlichen? Ich glaube, er hat dir gegenüber auch schon erwähnt, dass er das Ganze für nichts weiter als eine gut gemachte Fälschung hält. Eine Fälschung aus dem ersten Jahrhundert zwar, aber eben trotzdem eine Fälschung. Er meinte, das würdest du im Laufe deiner Untersuchungen schon noch selbst herausfinden.«
Shawn schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, legte den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, schüttelte er ungläubig den Kopf. »Das ist doch wieder typisch James. Vier Jahre lang haben wir über die Missstände der Religionen, vor allem über die päpstliche Unfehlbarkeit diskutiert, und jetzt, wo sich die Schlinge enger um seinen Hals zieht, soll ich diesen Trumpf nicht ausspielen dürfen. Was für ein Witz.«
»Die kirchliche Autorität zu untergraben und den Ruf der Jungfrau Maria zu gefährden, könnte enorme negative Auswirkungen auf die Kirche haben. Darum macht er sich Sorgen. Und er fürchtet, man könnte
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