Obduktion
ihm unterstellen, er würde mir dir unter einer Decke stecken, da er ja für den Empfang des Ossuariums unterschrieben hat. Außerdem könnte er dafür verantwortlich gemacht werden, dass du die Zutrittserlaubnis zum Petrusgrab bekommen hast. Ich glaube, er fürchtet das Ende seiner Karriere.«
»Er hat tatsächlich dafür gesorgt, dass ich die Zutrittsgenehmigung erhalte, aber deshalb wird ihm niemand die Schuld geben. Schließlich ist das schon fünf Jahre her, und ich habe die entsprechenden Arbeiten am Petrusgrab durchgeführt, die der eigentliche Grund für
die Erlaubnis waren. Es ist doch die Schuld des Vatikans, dass die Genehmigung immer noch gültig ist. Die Unterschrift für das Paket hat er ganz allein gegeben. Ich habe ihn nicht reingelegt. Wenn du mich fragst, dachte er, ich würde ihm ein Geschenk schicken. Das hatte ich aber nie behauptet.«
»Ich werde mich jedenfalls nicht zwischen euch stellen«, sagte Jack, der sich nicht auf irgendeine Seite schlagen wollte. »Macht das unter euch aus. Ich wollte nur, dass du weißt, wie er das sieht.«
»Danke für die Warnung«, brummte Shawn.
»Ich habe noch eine andere Frage«, sagte Jack, der das Thema wechseln wollte.
»Gern.«
»Wann willst du denn anfangen?«
»So bald wie möglich.«
»Wie wär’s mit morgen früh so gegen acht? Wir müssen uns treffen, damit ich dir eine kleine Einweisung geben kann.«
»Passt mir gut, aber lass mich kurz Sana anrufen und sie fragen. Falls es dir nichts ausmacht zu warten.«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Jack ehrlich. Wie immer drückte er sich davor, nach Hause zu gehen, aus Angst vor dem, was er dort vorfinden könnte. Es war ihm bewusst, und er hasste sich dafür.
Shawn erwischte Sana an der medizinischen Hochschule. Sie war dort, um einige der laufenden Projekte zu retten, die ihre Studenten während ihrer Abwesenheit eigentlich über Wasser halten sollten. Aber es klang, als wäre in der Zwischenzeit einiges schiefgelaufen. Selbst Jack konnte den schrillen Ton ihrer Stimme durch das Telefon hören, als Shawn den Hörer ein Stück von seinem Ohr weg hielt. Schließlich kam Shawn zu Wort und erläuterte Sana den Plan.
Dann hörte er ihr intensiv zu und machte Jack nach einer Weile ein Zeichen, dass es klappen würde.
»Okay.« Shawn legte den Hörer auf. »Um acht also. Wo treffen wir dich?«
»In der Eingangshalle des DNA-Gebäudes«, sagte Jack. »Was ist mit dem Ossuarium?«
»Sana und ich werden es unterwegs in der Residenz abholen.«
»Ich muss zugeben, dass ich es kaum erwarten kann. Glaubst du wirklich, dass Knochen und Dokumente darin sind?«
»Ich bin jedenfalls sehr zuversichtlich«, sagte Shawn. »Und wenn du denkst, du wärst neugierig, was glaubst du, wie ich mich fühle? Meine Frau hat mich nur mit größter Mühe davon abhalten können, das Ossuarium schon im Hotel in Rom zu öffnen.«
»Was ist mit dem Brief? Hast du ihn dabei?«
»Na klar. Willst du ihn sehen?«
»Natürlich«, sagte Jack.
Shawn zog ein großes Buch aus dem Bücherregal und legte es auf den Tisch in der Mitte.
»Ich habe diesen Bildband über ägyptische Denkmäler benutzt, um den Brief aus Ägypten zu schmuggeln. Ich werde die Seiten des Briefes konservieren lassen, aber bis es so weit ist, bleiben sie hier drin.«
Shawn zog die erste Seite des Briefes heraus.
»Sieht aus wie Griechisch«, sagte Jack, der sich über den Text beugte.
»Es sieht aus wie Griechisch, weil es Griechisch ist«, sagte Shawn mit einem schelmischen Lachen.
»Ich dachte, er würde in Aramäisch sein oder auf Latein.«
»Es ist nicht das typische Griechisch, sondern Koine-Griechisch. Während der römischen Kaiserzeit war das die Sprache des westlichen Mittelmeerraums.«
»Und kannst du das lesen?«
»Selbstverständlich kann ich das lesen«, sagte Shawn leicht pikiert. »Es ist allerdings etwas dürftig geschrieben, das macht die Übersetzung auch so schwer. Man merkt sofort, dass Griechisch nicht Saturninus’ Muttersprache war.«
Jack richtete sich wieder auf. »Faszinierend! Das ist ja wie eine Schatzsuche.«
»Das dachte ich auch«, sagte Shawn, »und das ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich überhaupt Archäologe geworden bin. Dieses Fach ist eine einzige Schatzsuche. Leider klingt es romantischer, als es wirklich ist, aber der Fund dieses Briefes und des Ossuariums hat diese romantische Vorstellung bei mir wieder aufleben lassen. Es klingt ironisch, aber ich fühle mich wirklich gesegnet.«
»Ich dachte, du
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