Obduktion
gemeinsam eine lässige Garderobe aus Jeans und T-Shirts für Luke zusammengestellt. Ein paar Teile davon trug er bereits, und der Rest befand sich in dem kleinen Rollkoffer neben ihm. Außerdem hatten die zwei Priester ein paar Hygieneartikel gekauft, sodass Luke nichts von den Sachen mitnehmen musste, die aus dem Kloster stammten. Ein Handy, etwas Bargeld und ein nagelneuer Rosenkranz, der vom Heiligen Vater persönlich gesegnet und ein besonderes Geschenk des Kardinals war, hatte er auch noch dabei. Luke war instruiert, Pater Maloney oder Seine Eminenz anzurufen, falls ihm irgendetwas fehlte.
Plötzlich wurde die Tür sperrangelweit aufgerissen und Sana und Luke standen sich gegenüber. Beide starrten sich überrascht an, denn keiner von ihnen entsprach auch nur annähernd dem Bild, was sie sich voneinander gemacht hatten. Sana war völlig perplex und sofort überwältigt von Lukes unschuldiger, jugendlicher Erscheinung und seiner tugendhaften Ausstrahlung, am meisten jedoch von seinen weichen, flehenden Augen, die wie bodenlose, kristallblaue Teiche auf sie wirkten. Luke seinerseits hatte eine hässliche, bedrohliche männliche Gestalt erwartet, wie das allegorische Bild des Teufels in einem mittelalterlichen Gemälde.
»Luke?«, fragte Sana, als wäre ihr ein Engel erschienen.
»Mrs Daughtry?«, fragte Luke zurück, als hätte er sich im Haus geirrt.
Sana betrachtete Lukes schlanken, aber wohlgeformten Körper, und plötzlich sah sie James, der das Innenlicht seines Wagens angemacht hatte. Sie winkte ihm zu, um ihm zu signalisieren, dass Luke sicher bei ihr angelangt war. James winkte zurück, schaltete das Licht wieder aus und machte sich zur Abfahrt bereit.
»Bitte komm rein!«, sagte Sana etwas verunsichert. Sie hatte weiche Knie, als er an ihr vorbeiging, und staunte über Lukes Ausstrahlung, vor allem über die Farbe und den Glanz seines weißblonden Haars und die Vollkommenheit seiner Haut. »Shawn!«, rief sie. »Unser Gast ist hier.«
Shawn kam mit einem Glas Scotch in der Hand aus der Küche. Er reagierte ähnlich überrascht wie Sana, sammelte sich kurz und starrte dann mit offenem Mund auf Luke. »Großer Gott, Junge, wie alt bist du?«
»Fünfundzwanzig, Sir«, sagte Luke, »fast sechsundzwanzig. « Er war ein wenig erleichtert. Shawn sah gar nicht so schrecklich und teuflisch aus, wie er befürchtet hatte.
»Du siehst viel jünger aus«, bemerkte Shawn. Der Junge hatte beneidenswert perfekte Haut, und seine Zähne waren so weiß wie Schnee.
»Das wurde mir schon oft gesagt«, antwortete Luke.
»Du wirst für eine Woche unser Gast sein«, fuhr Shawn fort. »Herzlich willkommen.«
»Vielen Dank, Sir«, gab Luke zurück. »Mir wurde gesagt, Sie wissen darüber Bescheid, warum ich hier bin.«
»Du bist damit beauftragt worden, mich davon abzuhalten, meine Arbeit zu veröffentlichen.«
»Nur, soweit sie mit der Heiligen Jungfrau Maria zusammenhängt, Mutter der Kirche, Mutter von Jesus,
Mutter von Gott, meine persönliche Erlöserin, die mich zu Christus brachte, Maria der unbefleckten Empfängnis, Königin des Himmels, Friedenskönigin, Stella Maris und Schmerzensmutter. Ich bin ihr treu ergeben, und ich habe bereits angefangen zu beten, dass Sie sie nicht verleumden mögen, indem Sie behaupten, sie wäre nicht in den Himmel aufgestiegen, um bei Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist zu sein.«
»Meine Güte«, bemerkte Shawn, verblüfft von diesem Kind-Mann, der ihm schon jetzt nicht ganz geheuer war. »Was für eine erstaunliche Litanei. Ich hörte, du lebst in einem Kloster.«
»Das ist richtig. Ich bin ein Novize der Bruderschaft der Sklaven Mariä.«
»Ist es wahr, dass du das Kloster seit acht Jahren nicht verlassen hast?«
»Beinahe acht, jedenfalls nicht ohne Begleitung. Ich bin schon einmal mit einigen Brüdern für eine ärztliche Untersuchung in der Stadt gewesen, aber dies ist das erste Mal, dass ich alleine unterwegs bin.«
Shawn schüttelte den Kopf. »Schwer vorstellbar, dass ein junger Mensch wie du bereit ist, seine Freiheit aufzugeben. «
»Meine Freiheit opfere ich nur zu gerne der Heiligen Mutter. Innerhalb der Klostermauern habe ich mehr Zeit, um für ihren Zuspruch und ihre Unterstützung zu beten.«
»Unterstützung wofür?«
»Mich von den Sünden fernzuhalten. Mich Christus nahezubringen. Den Brüdern bei ihrem Auftrag zu helfen.«
»Komm!«, sagte Sana zu Luke. »Ich zeige dir das Gästezimmer.«
Luke studierte für einen Moment Shawns Gesicht
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