Obduktion
Verfärbung war jetzt sogar noch deutlicher zu sehen als im Körper.
»Hier geht gar nichts«, sagte Jack. Indem er jedes Gefäß mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand festhielt, benutzte er die rechte Hand, um jeweils einen sorgfältigen Schnitt durch eine Arterienwand zu machen. Dann öffnete er die Arterien der Länge nach und klappte auf dem Schneidebrett ihr Inneres nach außen.
»Jetzt schau dir das an!«, sagte er, noch mit dem Skalpell in der Hand.
»Und was sehe ich da?«, fragte Vinnie.
»Man nennt es arterielle Dissektion«, antwortete Jack. »Eine beidseitige Dissektion der Vertebralarterien. So was habe ich noch nie gesehen.«
Mit dem Skalpellgriff zeigte Jack auf eine dunkle Stelle kurz vor der S-Kurve der Arterien, dort wo sie über den ersten Halswirbel liefen. »Siehst du diesen Riss in der Intima, hier an der Innenwand des Blutgefäßes? Bei beiden Arterien gibt es einen Riss zwischen dem Atlaswirbel, dem ersten Halswirbel, und der Axis, dem zweiten Halswirbel. Wenn so etwas geschieht, presst der Arteriendruck das Blut in die Umhüllung der Arterien und pumpt sie so auf, dass der Blutstrom blockiert wird. Das Gehirn verliert dadurch den größten Teil seiner Blutversorgung und bingo, die Lichter gehen aus.«
»Für das Opfer bedeutet das Feierabend.«
»Ich fürchte schon«, pflichtete Jack bei.
Nachdem die Todesursache somit geklärt war, nahm der Rest der Autopsie seinen Lauf. Zwanzig Minuten später verließ Jack den Autopsieraum, nur um festzustellen, dass ihm Dr. Besserman eine zweite Autopsie zugewiesen hatte. Den Meningitisfall von der Privatschule.
Während er darauf wartete, dass Vinnie alles vorbereitete, entledigte sich Jack seines Schutzanzugs und ging mit Keara Abelards Akte in den Umkleideraum.
Er machte es sich bequem und las noch einmal sorgfältig Janice Jaegers gerichtsmedizinischen Untersuchungsbericht durch. Wie er schon vorher beim ersten Überfliegen des Berichts gelesen hatte, war die Frau von ihren Trinkkumpanen wegen plötzlich auftretender Verwirrtheit und spastischer Krämpfe in die Notaufnahme gebracht worden. Sie wurde schon bald bewusstlos. An der Art, wie Janice es formulierte, konnte Jack erkennen, dass sie nicht selbst mit den Freunden gesprochen hatte, sondern ihre Informationen teils aus dem Notaufnahmeprotokoll der Sankt-Lukas-Rettungsstation, teils von einer Schwester und teils von einem der Ärzte der Notaufnahme bezogen hatte. Typisch für Janice, war der Bericht vollständig, doch ein Unfall wurde nicht erwähnt.
Auf dem Blatt zur Identitätsfeststellung konnte Jack ablesen, dass Kearas Mutter die Leiche identifiziert hatte. Die Frau lebte in Engle Wood, New Jersey, und Jack schaute nach ihrer Telefonnummer mit der Ortskennung 210.
Schnell entschlossen sprang er auf die Füße. Es war klar, dass er noch mehr Informationen brauchte, als ihm vorlagen.
Mit dem OCME-Bericht in der Hand lief er über die Hintertreppe in den ersten Stock, durchquerte die Abteilung für plötzlichen Kindstod und ging in den erweiterten Bereich der Rechtsmedizin. Er fand Bart Arnold, den
Chef der Abteilung für gerichtsmedizinische Ermittlungen, an seinem Schreibtisch im Kabuff mit der Nummer eins. Er und Jack pflegten eine hervorragende Arbeitsbeziehung. Das lag vor allem daran, dass Jack einer der wenigen Forensiker war, der den Fahndern den verdienten Respekt zollte, weil er sie wissen ließ, dass er seinen Job nicht ohne ihre Hilfe erledigen konnte.
»Morgen, Dr. Stapleton. Gibt es ein Problem?«, fragte Bart, als er die Akte unter Jacks Arm sah.
»Hey, Bart! Ich habe mich nur gefragt, ob Janice heute Morgen bei der Schichtübergabe vielleicht irgendetwas über Keara Abelard erwähnt hat, an das du dich noch erinnerst?«
Bart schaute auf seine Liste der nächtlichen Einlieferungen. »Nee, ich glaube, da war nichts. Das sah für sie nach Routine aus, aber auf jeden Fall in der Zuständigkeit des OCME.«
»Absolut meine Meinung«, sagte Jack. »Aber es gibt so wenig zur Vorgeschichte.«
»Sie meinte, dass die Ärzte vom Rettungsdienst das auch gesagt hätten. Deswegen musste Janice ihnen sogar versprechen, sie zurückzurufen. Sie wollten informiert werden, was die Todesursache war.«
»Ich habe nichts Diesbezügliches in der Akte gefunden. «
»Ich glaube, Janice kennt den betreffenden Arzt und wollte es lieber selbst machen, anstatt dich damit zu behelligen.«
»Weißt du, ob sie mit der Mutter gesprochen hat, als sie wegen der Identifizierung
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