Obduktion
eine Tragödie!«
»Wie ich schon sagte, es gibt einige Wissenschaftler, denen es bei dieser Vorstellung noch heute eiskalt den Rücken runterläuft. Aber Freunde und Nachbarn der Kinder, unter ihnen ein muslimischer Imam, der auch Geschichtslehrer war, erahnten den Wert der Kodizes und griffen ein. Der Kodex, den ich hier habe, hat einen langen Weg hinter sich. Über die verschiedensten Antiquitätenhändler reiste er den ganzen langen Nil hinunter bis nach Kairo. Dort wurden dann fünf der verschwundenen Schriften, die ebenfalls ganz außergewöhnlich waren, entfernt und in die USA geschmuggelt. Glücklicher weise war die Regierung informiert, sodass sie die verbleibenden Kodizes, inklusive der acht Seiten des dreizehnten, entweder kaufen oder beschlagnahmen konnten. Den dreizehnten selbst haben sie nie gefunden, wahrscheinlich verstaubte er in irgendeinem Antiquariat, bis er vor Kurzem meinem Freund Rahul in die Hände fiel. Dass ich heute bei ihm auftauchte, war reiner Zufall. Er steht mit vielen Museumsdirektoren der Welt in Kontakt und hätte kein Problem gehabt, ihn loszuwerden.«
»Ist es denn nicht verboten, ihn zu verkaufen oder überhaupt zu besitzen?«
»Doch, es ist absolut verboten!«
»Und das stört dich nicht?«
»Eigentlich nicht. Ich betrachte mich eher als sein Retter. Ich habe nicht vor, ihn zu behalten. Mein Ziel war es, den Inhalt zu veröffentlichen und die Lorbeeren dafür zu ernten. Leider ist das nun nicht mehr möglich.«
»Warum nicht? Wie viele Texte sind denn noch in dem Kodex?«
»Ganz schön viele.«
»Und was genau sind denn nun diese Nag-Hammadi-Schriften? «
»Das sind koptische Kopien der griechischen Originale, wie das Thomas-Evangelium, das Philippus-Evangelium, das Evangelium der Wahrheit, das koptische Ägypter-Evangelium, das Apokryphon des Johannes, die Apokalypse des Paulus, der Brief von Petrus an Philippus, die Apokalypse des Petrus und so weiter und so fort.«
»Und die verbliebenen Schriften aus dem dreizehnten Kodex?«
»Das ist das Problem. Alle verbliebenen Schriften sind nur zusätzliche Kopien von denen, die man schon in den ersten zwölf Kodizes gefunden hatte. Von den anfänglich zweiundfünfzig Schriften der zwölf Bände waren nur vierzig neue dabei. Ähnlich wie bei den Schriftrollen vom Toten Meer, bei denen es auch Redundanzen gibt.«
»Was uns zu dem Brief führt, den du im Buchdeckel gefunden hast.«
»Genau!«, sagte Shawn. Er stand auf, nahm behutsam die drei losen Blätter und kehrte schnell zu seinem Stuhl zurück. »Möchtest du, dass ich ihn vorlese, auch wenn ich wahrscheinlich ganz furchtbar darin bin, oder wärst du auch zufrieden, wenn ich ihn in eigenen Worten wiedergebe? Er wird als einer der historisch bedeutsamsten Briefe in die Weltgeschichte eingehen.«
In gespieltem Erstaunen öffnete Sana den Mund, ließ den Unterkiefer herunterklappen und rollte mit den Augen. »Übertreibst du jetzt nicht? Vorhin sagtest du, dass der heutige Fund hundertmal besser sei als dein letzter, allerwichtigster archäologischer Fund oder so ähnlich. Und nun ist daraus plötzlich einer der bedeutsamsten Briefe der Weltgeschichte geworden? Gehst du da nicht vielleicht etwas sehr weit?«
»Ich übertreibe nicht«, sagte Shawn mit leuchtenden Augen.
»Okay, ich glaube, es ist besser, wenn du mir den Brief Wort für Wort vorliest. Ich möchte nichts verpassen. Du sprachst vorhin von Jesus. Kommt er darin vor?«
»Ja, aber nur indirekt«, sagte Shawn und räusperte sich.
Als ihr Mann zu lesen anfing, schweifte Sanas Blick aus dem Hotelfenster. Im Vordergrund spiegelte sich das Licht der Sonne wie ein loderndes Feuer auf der Oberfläche des Nils, während sich am Horizont die Pyramiden von Gizeh türmten, die Cheopspyramide alle überragend. Wenn dieser uralte Brief auch nur halb so wichtig war, wie Shawn glaubte, konnte sie sich keinen schöneren Ort vorstellen, um diese Übersetzung zu hören.
Kapitel 5
8:41 Uhr, Montag, 1. Dezember 2008 New York City (15:41 Uhr, Kairo)
V erdammt noch mal, Vinnie«, knurrte Jack Stapleton. Er stand an der linken Seite der Leiche von Ke ara Abelard. Er beugte sich schon länger als zwanzig Minuten über den Rücken der Frau und entfernte mit der Knochenzange sorgfältig Teile des zervikalen Querfortsatzes, um die beiden vertikalen Arterien freizulegen, die durch den Hals liefen. Die Arterien durchquerten seitlich jeden Halswirbel, bevor sie in einer S-Kurve um den Atlaswirbel herumliefen.
»Tut mir leid«,
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