Obduktion
herkam?«
»Keine Ahnung. Aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen Nein. Janice ist immer so gründlich, und wenn sie mit der Mutter gesprochen hätte, wäre sicher eine Notiz in den Akten. Aber warum rufst du sie nicht einfach
an und fragst sie? Wo liegt denn das Problem? Nicht genügend Informationen?«
Jack nickte. »Das ist ein seltsamer Fall. Die Frau starb an einem Verschluss ihrer beiden Vertebralarterien. Falls sie nicht an einer Bindegewebserkrankung wie dem Marfan-Syndrom litt, was ich ernsthaft bezweifle, dann muss sie einen bösen Unfall gehabt haben. Ihre Gefäße haben sich förmlich zerlegt, das heißt, die Ummantelungen haben sich gelöst und die Blutzirkulation blockiert. Vinnie meinte, es könnte sich um ein Schleudertrauma durch einen Autounfall handeln, und vielleicht hat er recht. Ich glaube, ihre Freunde oder ihre Mutter müssten etwas mehr wissen. Das könnte extrem wichtig sein. Wenn ihr jemand hinten reingefahren ist, dann müsste man ihn oder sie jetzt des Totschlags verdächtigen, vielleicht sogar des Mordes, wenn die Beteiligten einander kannten und es zwischen ihnen einen Konflikt oder eine Auseinandersetzung gegeben hat. Ich würde die Mutter ja selbst anrufen, aber ich fände es furchtbar, sie zu belästigen, falls Janice schon mit ihr gesprochen hat.«
»Wie schon gesagt, warum rufst du Janice nicht einfach an?«
Mit seiner Linken zog Jack die Uhr hervor, die er mit einer Uhrkette am Gürtel seiner Autopsiehose festgebunden hatte. »Es ist Viertel vor zehn. Ist das nicht zu spät?«
»Sie ist eine Perfektionistin. Sie wird dir helfen wollen«, antwortete Bart und reichte ihm Janice’ Privatnummer. »Ruf sie ruhig an. Vertrau mir.«
Über die Vordertreppe eilte Jack zurück in sein Büro. Nachdem er seine Bürotür aufgestoßen hatte, legte er den Zettel mit Janice’ Privatnummer auf die Mitte seiner Schreibtischunterlage und griff nach dem Telefon. Doch bevor er die Nummer wählte, rief er noch Vinnie an.
»Ich bringe gerade die Leiche des Jungen rein. In fünf
Minuten könnten wir loslegen. Calvin, unser liebenswürdiger zweiter Chef, möchte gern, dass wir es im Faulraum erledigen.« Der Faulraum war ein separater, kleiner Autopsieraum mit nur einem einzigen Tisch. Er wurde meistens für verfaulte Leichen benutzt.
»Sieh zu, dass wir jede Menge Reagenzröhrchen haben«, sagte Jack. »Ich bin in fünf Minuten bei dir.« Er legte auf.
Als er gerade Janice’ Nummer wählen wollte, fiel sein Blick auf das Foto von Laurie und John Junior, das auf seinem Schreibtisch stand. Es stammte aus den glücklichen Tagen, als Laurie und ihr Baby nach der Entbindung das Krankenhaus verlassen hatten. Damals hatte es noch keine Symptome oder Anzeichen für die Katastrophe gegeben, die ihnen noch bevorstand.
In einer plötzlichen Aufwallung streckte Jack den Arm aus, griff das Foto und feuerte es in die unterste Schreibtischschublade, die er mit dem Fuß zutrat.
»Oh Gott«, murmelte er. Es war geradezu peinlich, wie schnell er wieder in seine Depressionen zurückfiel, ganz besonders, weil es schließlich Laurie war, die neunzig Prozent der Last zu tragen hatte. Er fragte sich, wie sie damit fertig werden konnte. Doch wenigstens war er wieder in der Lage, zur Arbeit zu gehen, um die Katastrophe zu verdrängen.
Einen Moment lang rieb sich Jack die Augen, was schmatzende Geräusche in den Augenhöhlen verursachte. Mit beiden Ellenbogen auf der Schreibtischplatte massierte er dann fest seine Kopfhaut. Es wurde ihm wieder einmal klar, wie wichtig es für ihn war, sich auf etwas Berufliches zu konzentrieren, um seine Emotionen in Schach zu halten.
Jack öffnete die Augen, griff sich den Telefonhörer und hämmerte wütend die Zahlenfolge von Janice’ Nummer
in die Tasten. Als sie sich meldete, knurrte er seinen Namen so, dass er selbst merkte, wie ärgerlich es klingen musste. Noch bevor Janice antworten konnte, entschuldigte er sich. »Das kam ganz falsch rüber«, sagte er. »Tut mir leid.«
»Habe ich etwas verbockt?«, fragte Janice. Gewissenhaft, wie sie war, war ihre erste Sorge, dass sie irgendeinen schlimmen Fehler begangen haben könnte.
»Nein, nein!«, versicherte Jack. »Ich hatte gerade an etwas anderes gedacht. Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Überhaupt nicht. Ich kann drei oder vier Stunden nach Schichtende sowieso noch nicht schlafen.«
»Ich brauche mehr Informationen zu Keara Abelard.«
»Das wundert mich nicht. Wir hatten so wenig. So ein trauriger Fall. So
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