Obduktion
gewuchert. Metastasen verteilten sich in JJs ganzem Körper, waren in seine Knochen und ins zentrale Nervensystem eingedrungen. John Junior hatte das, was man ein Hochrisiko-Neuroblastom nannte – die schlimmste Ausprägung.
Die folgenden Monate, in denen sich die Diagnose verschlechterte und ein Behandlungsplan festgelegt wurde, waren für die frischgebackenen Eltern die reine Hölle gewesen. Zu JJs Glück war Laurie in dieser Zeit bei erstaunlich klarem Verstand geblieben, besonders während jener ersten kritischen Tage, als Jack darum kämpfte, nicht wieder in denselben geistigen und emotionalen Abgrund zu stürzen, in dem er sich schon vor Jahren einmal befunden hatte. Zu wissen, dass ihn John Junior und Laurie jetzt wirklich brauchten, hatte ihm schließlich geholfen, die Kurve zu kriegen. Unter großen Anstrengungen gelang es ihm, die Schuldgefühle und den Zorn, die ihn zu überwältigen drohten, abzuwehren und zu einer einigermaßen positiven Einstellung und Stärke zurückzufinden.
Leicht war es nicht gewesen, aber die Stapletons hatten das Glück, ins Neuroblastom-Programm des Memorial-Sloan-Kettering-Krebszentrums aufgenommen zu werden, wo sie zu dem professionellen, erfahrenen und einfühlsamen Personal schnell Vertrauen fassten. Über mehrere Monate musste sich JJ einer ganzen Reihe individuell angepasster Chemotherapien unterziehen, die wegen ihrer Nebenwirkungen jedes Mal einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten.
Nachdem sich die Chemotherapie so ausgewirkt hatte,
wie man es offenbar für richtig hielt, wurde bei JJ eine relativ neue und vielversprechende Therapie begonnen. Dazu gehörten intravenöse Injektionen von aus Mäusen gewonnenen monoklonalen Antikörpern der Blastomzellen. Die Antikörper, 3F8 genannt, suchten die Krebszellen und halfen dem Immunsystem des Patienten bei ihrer Zerstörung. Zumindest theoretisch.
Der ursprüngliche Behandlungsplan sah jeweils vierzehntägige Zyklen täglicher Injektionen vor – über Monate, wenn möglich vielleicht ein ganzes Jahr lang. Unglücklicherweise musste die Behandlung schon nach wenigen Durchgängen abgebrochen werden. JJs Immunsystem hatte trotz der vorangegangenen Chemotherapie eine Allergie gegen das Mäuseprotein entwickelt, was gefährliche Nebenwirkungen verursachte. Nach dem neuen Plan würde man ein, zwei Monate warten und dann noch einmal überprüfen, wie empfindlich JJ auf das Mäuseprotein reagierte. Sollten die Reaktionen weit genug zurückgegangen sein, wollte man die Behandlung von Neuem beginnen. Es gab keine andere Option. Für eine autogene Stammzellentherapie, eine Operation oder für Bestrahlungen war John Juniors Krankheit schon zu weit fortgeschritten.
»Er ist so lieb, wenn er schläft und nicht weint«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit.
Jack fuhr zusammen. Er war so in seine Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie Laurie ins Zimmer gekommen war.
»Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, fügte Laurie hinzu und sah ihren Ehemann an.
»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe«, erwiderte Jack verständnisvoll. Er wusste, dass sie wegen der hohen Anforderungen und Belastungen, die JJs Pflege bedeutete, chronisch erschöpft war.
»Ich war schon wach, als du aufgewacht bist. Bei deiner schnellen Atmung hatte ich Angst, du hättest schon wieder einen von deinen Albträumen gehabt.«
»Hatte ich auch. Es war mein alter Traum mit dem Fluchtwagen, nur diesmal bin ich auf eine Gruppe von Vorschulkindern zugerast. Es war furchtbar.«
»Das kann ich mir vorstellen. Wenigstens ist der Traum nicht schwer zu interpretieren.«
»Wenn du meinst«, sagte Jack mit einem Hauch Sarkasmus. Er mochte es nicht, analysiert zu werden.
»Jetzt komm mal wieder runter«, fügte Laurie hinzu. Sie streckte den Arm aus und griff nach Jacks Oberarm. »Zum hundertsten Mal, JJs Krankheit ist nicht deine Schuld. Du musst aufhören, dir deswegen Vorwürfe zu machen.«
Jack nahm einen tiefen Atemzug und atmete hörbar aus. Er schüttelte den Kopf. »Du hast leicht reden.«
»Aber es ist wahr«, beharrte Laurie und drückte mitfühlend seinen Arm. »Du weißt, was die Ärzte im Memorial gesagt haben, als wir sie nach der Krankheitsursache gefragt haben. Verdammt noch mal, es ist wahrscheinlicher, dass es an mir lag, wenn man bedenkt, mit welchen Chemikalien wir Gerichtsmediziner zu tun haben. Während der Schwangerschaft habe ich versucht, allen Lösungsmitteln aus dem Weg zu gehen, aber das war schlicht
Weitere Kostenlose Bücher