Obduktion
unmöglich.«
»Es ist nicht nachgewiesen, dass Lösungsmittel ein Neuroblastom verursachen können.«
»Nein, bewiesen ist es nicht, aber tausendmal wahrscheinlicher als der übernatürliche Fluch, mit dem du dich immer quälst.«
Jack nickte widerstrebend. Er fürchtete die Richtung, die ihr Gespräch genommen hatte. Er wollte nicht über den Fluch reden, weil er weder an Übernatürliches glaubte
noch besonders religiös war – zwei Überzeugungen, die seiner Meinung nach zusammengehörten. Er hielt sich lieber an die unmittelbare Realität, an das, was er anfassen und fühlen und mit seinen eigenen Sinnen wahrnehmen konnte.
»Und was ist mit den Fruchtbarkeitshormonen, die ich genommen habe?«, fragte Laurie. »Das war eine weitere Vermutung der Ärzte, weißt du noch?«
»Natürlich weiß ich das noch«, gab Jack gereizt zurück. Er wollte nicht über die Sache reden.
»Fakt ist, dass die Ursache von Neuroblastomen unbekannt ist. Punkt! Bitte, Jack, komm einfach zurück ins Bett.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich könnte sowieso nicht wieder einschlafen. Außerdem müsste es schon kurz vor fünf sein. Da kann ich auch gleich duschen, mich rasieren und früh los zur Arbeit. Ich muss mich mit irgendwas beschäftigen.
»Gute Idee«, pflichtete Laurie bei. »Ich wünschte, ich könnte das Gleiche tun.«
»Wir haben doch darüber geredet, Laurie. Du kannst wieder zur Arbeit gehen. Wir stellen Pflegerinnen ein. Vielleicht wäre das besser für dich.«
Laurie schüttelte den Kopf. »Du kennst mich, Jack. Das muss ich selbst schaffen, egal wie. Ich würde es mir nie verzeihen.« Sie schaute hinunter auf das anscheinend friedlich schlafende Baby. Seine leicht hervorstehenden Augen blieben zum Glück im Schatten verborgen. Sie schnappte nach Luft, als sie unversehens von einer Woge von Gefühlen überrollt wurde, wie das gelegentlich ohne Vorwarnung geschah. Sie hatte sich so sehr ein Kind gewünscht. Sie hätte sich nie vorstellen können, einmal ein Kind zu haben, das so viel würde leiden müssen wie JJ, und dabei war er erst vier Monate alt. Auch sie rang mit
ihren Schuldgefühlen, aber anders als Jack hatte sie wenigstens in der Religion ein wenig Trost gefunden. Sie war katholisch erzogen worden, war aber keine praktizierende Katholikin. Sie wollte immer noch an Gott glauben, tat es auch auf eine unbestimmte Art und betrachtete sich selbst als Christin. Insgeheim betete sie für JJ, aber im selben Moment konnte sie nicht verstehen, warum ein höheres Wesen etwas so Furchtbares wie Krebserkrankungen bei Kindern, speziell Neuroblastome, zulassen konnte.
An ihrem Atem konnte Jack erkennen, dass in Laurie eine Veränderung vorgegangen war.
Er schluckte seine eigenen Tränen hinunter, legte seinen Arm um die Schultern seiner Frau und folgte ihrem Blick hinunter zu John Junior.
»Was mir gerade die größten Schwierigkeiten macht«, würgte Laurie hervor und wischte sich die Tränen fort, »ist das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Wir warten nur darauf, dass seine Allergie gegen das Mäuseprotein zurückgeht, aber behandeln ihn nicht. Irgendwie hat uns die Schulmedizin im Stich gelassen. Ich hatte so viel Zuversicht, als wir mit den monoklonalen Antikörpern angefangen haben. Das schien mir viel vernünftiger zu sein als die volle Breitseite mit der Chemotherapie – gerade für ein Baby in einer schnellen Wachstumsphase. Die Chemotherapie greift jede Wachstumszelle an, aber die Antikörper docken nur an die Krebszellen an.«
Jack wollte antworten, aber er konnte es nicht. Er vermochte Laurie seine Zustimmung nur mit einem Nicken zu zeigen. Außerdem wusste er, dass es ihm die Kehle zuschnüren würde, wenn er jetzt versuchen würde zu reden.
»So ist das nun mal mit der konventionellen Medizin«, sagte Laurie, die ihre Gefühle langsam wieder unter
Kontrolle bekam. »Wenn die evidenzbasierte Medizin in eine Sackgasse gerät, muss der Patient leiden. Und seine Familie. Man lässt sie einfach im Regen stehen.«
Jack nickte wieder. Was Laurie sagte, entsprach leider der Wahrheit.
»Hast du jemals über alternative Medizin oder über andere Behandlungsmethoden für JJ nachgedacht? Ich meine, nur solange uns die Hände mit der monoklonalen Antikörpertherapie gebunden sind?«
Jack zog überrascht die Augenbrauen hoch und starrte Laurie erschrocken an. »Ist das dein Ernst?«
Laurie zuckte die Schultern. »Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht viel darüber. Ich habe es noch nie ausprobiert. Von
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