Obduktion

einschüchtern, dass sie sich darauf beschränkten, selbst nur noch Rückenprobleme zu behandeln.«
    »Sie meinen, dass sie darauf verzichteten, solche Dinge wie akute Sinusitis zu behandeln?«
    »Exakt! Die amerikanische Ärztevereinigung AMA ist schon seit Ewigkeiten gegen die Chiropraktik und hat Gerichtsprozesse und dergleichen angezettelt. Die hatten Angst, dass wir ihr Geschäft kaputt machen, und natürlich tun wir das, denn die Patienten sind ja nicht dumm.«
    Dessen war sich Jack nicht sicher, aber er unterbrach Newhouse nicht.

    »Wie auch immer«, fuhr dieser fort, »irgendwann um 1990 hat das Oberste Gericht die AMA endlich zum Schweigen gebracht und zum Vorteil der Chiropraktik eindeutig festgestellt, dass die konventionelle Medizin mithilfe der American Medical Association versucht hatte, chiropraktische Therapien zu diskreditieren, um in diesem Land das Monopol im Gesundheitswesen zu behalten.«
    Jack nahm sich vor, einen Blick in dieses Urteil zu werfen. Nach dem, was er an diesem Nachmittag über Chiropraktik gelernt hatte, schien es ihm unvorstellbar, dass das Oberste Gericht zugunsten der Chiropraktiker entschieden haben könnte. Allerdings vermutete er, dass sich das Urteil lediglich auf das Monopol beziehungsweise auf einen Alleinvertretungsanspruch bezog und nicht auf die Wirksamkeit der Therapien.
    »Man könnte nun denken, dass so ein Urteil die Chiropraktik vorangebracht hätte«, fuhr Newhouse fort, »aber seltsamerweise hat es uns gespalten. Einige konventionelle Ärzte, die wohl unseren Nutzen erkannt hatten, haben angefangen, mit uns zusammenzuarbeiten – jedenfalls mit den Chiropraktikern, die bereit waren, sich einzuschränken. Im Laufe der Jahre hat sich für diese Verräter die Bezeichnung ›Mixer‹ eingebürgert, weil sie sich austricksen ließen und sich jetzt nur noch um Rückenprobleme kümmern. Damit haben sie der chiropraktischen Bewegung einen Bärendienst erwiesen.« Newhouse hielt einen Augenblick inne und fuhr dann verächtlich fort: »Es ist natürlich klar, dass das keine richtigen Chiropraktiker sind.«
    »Und wie nennt man die tapferen und aufrechten Chiropraktiker wie Sie?«, wollte Jack wissen und ließ eine volle Dosis seines berüchtigten Sarkasmus heraus.
    Eine Sekunde lang starrte Newhouse Jack an, als hätte er ihm ins Gesicht geschlagen. Der Sarkasmus war ihm
offensichtlich nicht entgangen, aber er schien ihn eher zu irritieren als zu verärgern. Schließlich ging er darüber hinweg und antwortete: »Man nennt uns zutreffend ›echte‹ oder ›reine‹ Chiropraktiker, weil wir unseren Anfängen treu sind.«
    Bestimmt schon zum hundertsten Mal im Verlauf seines relativ kurzen Gespräches mit Newhouse musste Jack den Impuls unterdrücken, Newhouse mit seiner ehrlichen Meinung zu konfrontieren. Er modulierte den Klang seiner Stimme sehr sorgfältig und fragte: »Ich würde Sie gerne etwas zu einer anderen Patientin fragen. Ihr Name ist Keara Abelard.«
    »Miss Abelard«, wiederholte Newhouse und gewann seinen strahlenden Gesichtsausdruck zurück. »Auch eine sehr feine junge Dame. Hat sie Sie auch zu mir geschickt?«
    »Das kann ich letztlich nur eindeutig bejahen.« Newhouses Lächeln verlor etwas an Glanz. Jacks Antwort wirkte unangemessen kompliziert.
    »Sie war eine neue Patientin«, sagte Newhouse. »Hat sie Ihnen etwas über ihre Erfahrungen mitgeteilt?«
    »Nur indirekt«, antwortete Jack, der absichtlich etwas geheimnisvoll blieb, um Newhouses Neugier anzustacheln. »Miss Barlow erzählte mir, dass sie Keara empfohlen hätte, Sie aufzusuchen, aber sie wusste nicht, ob Keara ihrem Ratschlag gefolgt war.«
    »Doch, doch! Sie kam letzten Freitag zum ersten Mal zur Behandlung. Wir haben sie dazwischengeschoben, weil sie sagte, dass sie große Schmerzen hätte.«
    »Also können Sie sich genau an sie erinnern?«
    »Oh ja, ganz genau.«
    »Aber wie ist das möglich, wenn Sie doch so viel zu tun haben? Sie müssen doch eine Menge Patienten abfertigen, um die Fixkosten zu decken und das Röntgengerät abzuzahlen?«

    »Ich kann mir Namen gut merken«, sagte Newhouse und sah Jack skeptisch an. Jacks Kommentar wirkte gelinde gesagt unangemessen. »Das fällt mir leicht.«
    »Erinnern Sie sich an ihre Beschwerden?«
    »Gewiss. Sie hatte heftige Kopfschmerzen im vorderen Bereich, und Medikamente zeigten keine Wirkung. Und zwar schon seit Wochen.«
    »Aha. Und Sie dachten, Sie könnten ihr helfen?«
    »Selbstverständlich. Und das habe ich auch getan. Sie sagte, ihre