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Obduktion

Obduktion

Titel: Obduktion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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Unvermögen, sie zu lindern, nicht mehr verdrängen. Zwar hatte er es Laurie gegenüber niemals offen zugegeben, aber den kranken Säugling auch nur zu halten, bedeutete eine
große emotionale Belastung für ihn — und er hasste sich dafür. Zugleich verstand er, was hinter seinen Gefühlen stand: Er versuchte vergeblich, keine allzu tiefe Bindung zu dem Kind zu entwickeln. Die unaussprechliche Wahrheit war, dass JJ nicht durchkommen würde.
    Jack nutzte die friedliche Ruhe in der Wohnung und vertiefte sich in Gesund ohne Pillen. Als Laurie vier Stunden später aufwachte, fand sie ihn so tief in das Buch versunken, dass er ganz vergessen hatte, etwas zu essen.
    Jack hörte ihr zu, während Laurie ihren Tagesablauf rekapitulierte. So wie jeden Tag verstärkte sich sein Gefühl, sie sei eine Heilige und er das Gegenteil, je länger er ihr zuhörte. Aber er ließ sie alles erzählen. Nachdem sie fertig war, gingen sie in die Küche, wo sie darauf beharrte, etwas Suppe für sie beide aufzuwärmen.
    »Es ist seltsam, dass du heute Morgen angesprochen hast, es mit Alternativmedizin zu probieren«, sagte er, als sie mit dem Essen fertig waren. »Das eine kann ich dir sagen — wir mögen noch so verzweifelt sein, aber damit werden wir niemals anfangen.« Er erzählte Laurie von Keara Abelard und seinem Entschluss, sich die Sache mit der Alternativmedizin einmal genauer anzuschauen. Emotional und körperlich erschöpft, wie sie war, folgte sie seinem leidenschaftlichen Vortrag nur mit halbem Ohr, bis er zu dem Todesfall mit dem drei Monate alten Säugling kam, der durch chiropraktische zervikale Manipulation gestorben war. Von dem Moment an hatte Jack ihre volle Aufmerksamkeit. Er beschrieb ihr, wie ihm die Lektüre von Gesund ohne Pillen die Augen für die meistverbreiteten Bereiche der alternativen Medizin geöffnet hatte, wozu neben der Chiropraktik auch Homöopathie, Akupunktur und Kräutermedizin gehörten.
    Als Jack seinen kleinen Vortrag beendet hatte, gratulierte Laurie ihm dazu, eine sinnvolle Beschäftigung gefunden
zu haben. Sie gestand sogar ein, ihn ein bisschen darum zu beneiden, doch das war alles. Jack brachte zum wiederholten Male zur Sprache, dass auch Laurie wieder zur Arbeit gehen könnte, wenn sie eine Pflegerin für JJ anstellen würden. Doch wie immer wies Laurie diesen Vorschlag zurück und stellte fest, dass sie nur tat, was sie tun musste. Dann erwähnte sie, dass ihr selbst auch schon drei Fälle untergekommen waren, bei denen alternative Heilmethoden den Tod der Patienten verursacht hatten. In einem Fall hatte ein Akupunkteur das Herz des Opfers versehentlich mit einer Nadel genau im Bereich des Sinusknotens perforiert. Zwei andere Patienten starben an einer Schwermetallvergiftung, die auf kontaminierte chinesische Heilkräuter zurückzuführen war.
    Jack war froh, von Lauries Fällen zu erfahren, und erzählte ihr von der Mail, die er an alle ihre Kollegen aus der Rechtsmedizin geschickt hatte. Er bat darin um die Mitteilung ähnlicher Fälle, um abschätzen zu können, wie viele Todesfälle in New York durch Alternativmedizin verursacht worden waren.
    »Hey«, rief Chet, während er Jacks Arm einen kräftigen Schubs gab. »Was ist denn mit dir los? Gestörte Feinmotorik? «
    »Entschuldige«, bat Jack und schüttelte den Kopf, als würde er aus einer Trance erwachen. »Ich war mit meinen Gedanken gerade ganz woanders.«
    »Du wolltest mich etwas zu meiner Vertebralisdissektion fragen«, sagte Chet. Er hatte darauf gewartet, dass Jack endlich seine Frage stellen würde.
    »Könntest du vielleicht den Namen oder die Vorgangsnummer von dem Fall herauskriegen, damit ich mir die Details mal anschauen kann?«, fragte Jack, aber er wartete Chets Antwort nicht ab. Seine Gedanken waren zum frühen Morgen gewandert, als er um halb sechs vollständig
bekleidet und auf der Wohnzimmercouch sitzend aufgewacht war. In seinem Schoß lag Gesund ohne Pillen mit aufgeschlagenem Anhang.
    Das Buch hatte seine negativen Gefühle zur Alternativmedizin weiter gefestigt und sein Interesse an der Sache verstärkt. Zwar hatte er einzelne Passagen nur überflogen, aber den größten Teil hatte er gelesen und sogar wichtige Schlüsselstellen angestrichen. Die Botschaft des Buches deckte sich absolut mit seinem eigenen Standpunkt in dieser Sache, und er hatte den Eindruck, dass die Argumente, die die Autoren zur Rechtfertigung ihrer Schlussfolgerungen heranzogen, klar und unvoreingenommen waren. Er hatte sogar den Eindruck,

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